
Retusche nach einem Originalfoto mit freundlicher Genehmigung der Fa. Roco/ Modelleisenbahn Holding GmbH
N' Dampfer. Noch einer. Ne Stromlinie. Und?
Naja. Dem geneigten Beobachter werden sofort zwei Sachen auffallen: Zum einen die für die Reihen 03.10 wie 01.10 ahistorische Farbgebung. Zum anderen, dass es sich hier - der Blick auf den unteren Abschluss der Verkleidung verrät es - nicht um eine 2'C1' handelt, sondern eine 1'D2', wie man meinen könnte. Doch hier geht der Betrachter fehl. Warum, wird später verraten.
Während die Krupp-Maschinen der Reihe T 09 eine gewisse Popularität genießen - wohl, weil ihre Realisierung (Krupp Auftrags.-Nr. 450 786) beschlossene Sache war und sie, wären da nicht die Kriegsereignisse gewesen, Wirklichkeit geworden wären - , ist der BMAG-Konkurrenzentwurf (vormals Schwartzkopff) bis heute weitgehend unbekannt. Was umso mehr verwundert, als dass beide Projekte in der gleichen Quelle publiziert wurden - dem allseits bekannten "Stoffels". Öffnen wir heute also einmal den Vorhang für die Unbekannte, die BMAG-Maschine.
Der erste Entwurf für die T 09 von Krupp stammt aus dem Jahre 1938. Gedacht, schwere Fernschnellzüge über weite Strecken zu befördern, konzipierte man in Essen eine Turbinenlokomotive für eine Höchstgeschwindigkeit von 160km/h, einer Spitzenleistung von über 3100PS und Kondensationseinrichtung die es gestatten sollte, die Strecke Berlin - Köln (580 Kilometer) mit nur einem Wasserhalt zu durchfahren. Während einige Quellen berichten, die bereits begonnenen T 09 001 und 002 wären im Bombenhagel zerstört worden heißt es bei Stoffels deutlich unspektakulärer, dass die Bauvorbereitungen an diesen Loks im Jahre 1941 schlicht aufgrund des Krieges eingestellt werden mussten.
Damit war im Hinblick auf die Frage, wer die nächste Turbinendampflokomotive für die Reichsbahn bauen würde, alles wieder offen. Vielleicht - das Timing mag es glauben lassen, es mag aber auch schlicht Zufall gewesen sein - war es die Hoffnung der Verantwortlichen der BMAG nun wieder im Rennen zu sein, die diese dazu veranlasste, Friedrich W. Eckhardt einen eigenen Entwurf für eine Turbinenlokomotive ausarbeiten zu lassen. Aus Langeweile hat der begnadete Konstrukteur es sicherlich nicht getan. So machte sich der Vater des gleichnamigen Lenkgestells ans Werk. Und in der Tat, sein Entwurf vermag zu beeindrucken.
Zunächst kommt die Eckhart-Maschine im ganz klassischen Kleid der 01.10 und 03.10 daher; für die Stromlinienverkleidung hätte man also deren Formen verwenden können. Auch die Windleitbleche sind identisch, der Vorwärmer sitzt an der bekannten Stelle. Der Kessel sollte ein Dampferzeuger "klassischer Bauart" sein; wie sich diese Aussage mit einer spezifischen Heizflächenbelastung von 75 kg/qmh - was in deutlichem Widerspruch zur Wagner'schen Kesselgrenze von 57 kg/qmh steht - in Einklang bringen lässt, bleibt fraglich. Als Rostfläche waren 5,7qm Fläche vorgesehen, ein bei der Reichsbahn unerreichter Wert (06: 5,04qm). An Leistung hätte es von daher kaum gefehlt; die 3000PS-Marke hätte sie sicherlich "gerissen". Bei 25660mm Länge über Puffer hätte der Gesamtradstand 21900mm betragen; der Treibraddurchmesser hätte 1600mm betragen sollen, der Durchmesser der in einem Schwartzkopff-Eckhart-Lenkgestell gelagerten Vorlaufachse 1000mm. Um eine optimale Luftzufuhr zur Feuerbüchse zu ermöglichen sowie eine optimale Ausbildung derselben, war ein zweiachsiges Nachlaufgestell mit zwei unterschiedlich großen Radsätzen (1250 und 1000mm) vorgesehen. Der durch die nur 1,6 Meter messenden Treibräder gegenüber der 06 kürzere Achsstand der Lok erlaubte den Vorratswagen länger auszubilden, der nunmehr 42 Kubikmeter Wasser fassen sollte; dieser 2'3T42 wäre der größte Tender der Reichsbahn gewesen. Durchgerechnet hatte Eckhart die 210-Tonnen-Lok für 180km/h Höchstgeschwindigkeit.
Alles irgendwas zwischen konventionell und interessant, doch nicht spektakulär. Doch was war an dem BMAG-Entwurf so anders?
Eckharts Trick: Das ist keine 1'D2', sondern eine 1'BB2'! Nicht eine Turbine überträgt mittels Stangen die Antriebskraft auf die Achsen; stattdessen erfolgt die Traktion elektrolokgleich über je eine, zwischen der 1. und der 2. sowie der 3. und der 4. Treibachse liegenden Turbine auf die Treibräder. Jahre später haben tatsächlich die Franzosen dieses Konzept bei den sogenannten "Monomoteur"-Lokomotiven - beispielsweise bei der BB7200, BB 15000 und BB 22200 - im Elektrolokomotivbau realisiert. Nicht eine, sondern zwei Turbinen hätten für den Vortrieb gesorgt - der BMAG-Bolide war ein Biturbo!
Eckharts Entwurf lag 1944 auf dem Schreibtisch. Zu diesem Zeitpunkt interessierte sich kein Mensch für Schnellverkehr geschweige denn Experimente im Dampflokomotivbau; der nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende Traktionswandel gab allen noch so innovativen Projekten im Dampflokomotivbau den Rest. Schade - zu interessant wäre es gewesen, ob dem Renner ein Erfolg beschieden gewesen wäre.
In unserem Paralleluniversum wird der Biturbo aus Berlin Wirklichkeit und darf sich auf den Rennbahnen der Reichsbahn zwischen Berlin, Hamburg und Köln austoben. Doch - welche Baureihenbezeichnung hätte er wohl getragen?
Die Reichsbahn hatte keine vierfachen gekuppelten Schnellzuglokomotiven mit den Achsfolgen 1'D2' oder 2'D1' in ihrem Bestand. Als - in Form der PKP-Pu29 und der kkStB-Reihe 214 - solche Maschinen zur Reichsbahn kamen, dachte man ihnen die Baureihenbezeichnung "12" zu - 12.0 für die 214, 12.1 für die 114 und 12.2 für die PKP-Maschine. Nach der Logik "eine Achsfolge, eine Baureihenbezeichnung" war also die Vergabe der Baureihenbezeichnung "09" an die beiden Krupp-Loks inkonsequent - sie hätten T12 heißen müssen. Weswegen wir - in logischer Umsetzung des Reichsbahnnummernplans und in Abgrenzung von den beiden Essener Maschinen - den BMAG-Boliden als "T12" einreihen.
Verwechslungen mit der Reihe 74 sind wohl ausgeschlossen...
Grüße!
Christian