Hallo Diskutanten,
vielleicht sollte man sich der Kraftübertragungsproblematik mal von einer anderen Seite her nähern. Wir dürften uns alle einig sein, dass es wünschenswert ist, wenn eine Drehgestell-Lok einen Antrieb hat, der auf beide Drehgestelle und alle Achsen wirkt.
Wenn man diese Anforderungen zugrunde legt, hat man aus meiner Sicht 3 Möglichkeiten der Umsetzung:
1. Die billige Variante: Mittelmotor und Antrieb beidseitig zu den Drehgestellen
Dies ist die gängige Praxis der Modellbahnhersteller. Verwendet werden meist Silikonschläuche zur Übertragung der Kräfte von der Motorwelle auf die Schneckenwelle. Teilweise kommen auch Kardan-ähnliche Übertragungseinrichtungen zum Einsatz, wie z.B. in den Hobbyloks von Piko.
Der große Nachteil dieser Konstruktionen ist, dass die Über/Untersetzung der Motordrehzahl auf die Achsdrehzahl über ein Schneckenrad und dahinterliegende Zahnrad-Getriebestufen geschieht, sodass die Modelle nicht geschoben oder gezogen werden können, sondern nur durch den Motor bewegt werden.
Hier wäre eine starke Verbesserung der Einsatz von Kronrädern/Kegelrädern, um die Lok auch schieben/ziehen zu können. Ein Nachteil ist die fehlende Selbsthemmung in der Neigung, sodass die Lok wirklich 'gebremst' werden müsste. Dies ließe sich durch eine mechanische Sperre, die evtl. durch den Dekoder angesteuert werden könnte, bewerkstelligen, oder der Dekoder erkennt über die Lastregelungsfunktion den angeforderten Stillstand der Lok und läßt den Motor gegen die Schwerkraft arbeiten, sodass der Zug unter Spannung am Motor stehen bleibt. Das funktioniert leider nicht auf analogen Anlagen bzw. in stromlosen Abschnitten.
2. Die altmodische Variante: Pro Drehgestell ein Motor
Diese Variante ist teuerer und birgt die Gefahr, dass sich beide Motoren nicht vernünftig synchronisieren lassen, sodass ein Motor immer gegen den anderen arbeitet, was den Verschleiß erhöht. Vorteil ist, dass auf ein Schneckenrad im Getriebe verzichtet werden kann. Nachteil ist, dass dafür Stirnmotoren quer eingebaut zum Einsatz kommen müssen, sodass nur eine begrenzte Schwungmasse untergebracht werden kann und die Motorgröße gerade bei Loks mit flachen Vorbauten über den Drehgestellen arg begrenzt ist. Hier hat der längs eingebaute Mittelmotor den Vorteil, dass man ihn weit einfacher tief in der Lok unterbringen kann und immer genug Platz für eine oder zwei Schungmassen hat.
Der Stromverbrauch von zwei Motoren ist evtl. auch ein Problem für die Dekoder. Bei kleineren Loks wird dann eventuell die Unterbringung eines genügend leistungsfähigen Dekoders zum Problem.
Aufgrund der möglichen Probleme und des recht hohen Preises wurden daher auch die meisten mir bekannten Modelle mit Drehgestellantrieben nur mit einem Motor und einem angetriebenen Drehgestell realisiert (es gab auch Modelle mit 2 Motoren, ich weiß!).
3. Die fortschrittliche Variante: Achsmotoren
Diese Variante sieht für jede Achse einen eigenen kleinen Motor vor. Der Vorteil ist, dass man für jede Achse nur noch eine Untersetzungsstufe braucht. Der Nachteile gibt es viele: es wird sehr teuer, die Ansteuerung ist aufwändig und die Miniaturisierung der Motoren erlaubt evtl. nicht die bislang gewohnte Zugkraft der Modelle. Man würde jedoch recht viel Platz in den Modellen gewinnen und könnte mit einem geeigneten Dekoder sogar eine Traktionskontrolle realisieren mit Schleuderschutz und allem Pipapo. Soweit sind die Hersteller jedoch noch nicht.
Aus meiner Sicht wäre es natürlich umso besser, je direkter die Kraft des Motors auf die Antriebsachsen übertragen werden kann. Grundsätzlich jedoch brauchen unsere Modelllokomotiven eine oder mehrere Untersetzungsstufen, sollen möglichst kostengünstig hergestellt und verkauft werden können, sollen einfach zu montieren und zu warten sein und dennoch robust genug für den Betriebseinsatz und langlebig genug für den gemeinen Modellbahnkäufer.
Aus dieser Sichtweise heraus macht der Mittelmotor mit Antrieb aller Achsen/Drehgestelle schon den meisten Sinn, jedoch ist die Kraftübertragung über Schnecke und Stirnrad nicht optimal. Ein Kardan ist nicht unbedingt nötig, die Silikonschläuche tun es bei den meisten H0-Modellen hinreichend gut. Die serienmäßige Verwendung von Kronrad/Kegelrad-Getrieben statt der Schnecken wäre wünschenswert.