RE: Bezeichnungsschemata der K.Bay.Sts.B. Regelspurdampfloks

#1 von Laenderbahner ( gelöscht ) , 06.01.2013 21:29

Hallo zusammen,
was habe ich mir da nur eingebrockt, Euch die bayrischen Bezeichnungsschemata erklären zu wollen.

Naja, wer „A“ sagt , muss auch „B“, „C“ und „D“ sagen – vor allem dabei „E“ nicht vergessen, womit wir schon fast mitten drin wären.

Bevor ich aber richtig anfange – zwei Vorbemerkungen:
1. Das Königreich Bayern bestand damals aus 8 Regierungsbezirken, nicht wie heute aus 7. Damals gehörte die Rheinpfalz noch zu Bayern.
2. Die ersten Eisenbahnlinien in Bayern wurden von Privatgesellschaften gebaut. Auch später griffen die Bayern wegen des herrschenden chronischen Geldmangels in den Jahren vor 1870 immer wieder auf „kreative Finanzierungsmethoden“ beim Eisenbahnstreckenbau zurück.

Also die ersten Eisenbahnen in Bayern waren Privatbahnen – 1835 die Nürnberg-Fürther Ludwigseisenbahn (LEB) und ab 1839 wurde an der München-Augsburger Eisenbahn (M.A.B.) gebaut.

Während die Streckenführung der LEB überregional keine Bedeutung hatte , erkannte die bayrische Regierung sofort die M.A.B. als wichtiges Teilstück Ihres Plans zum Bau der Ludwigs Süd-Nord Bahn von Lindau nach Hof und betrieb alsbald die Verstaatlichung der M.A.B. , die auch1844 erfolgte.

Ja und damit wird es für die Entwicklung der Lokbezeichnungen interessant: Die neu gegründete K.Bay.Sts.B. übernahm die 8 Lokomotiven der M.A.B. und damit auch die Art der Bezeichnung von Lokomotiven – nämlich mit einfachen Namen, die auf Schildern an der Seite des Lokkessels angebracht waren (JUPITER, JUNO, MERKUR, DIANA, VULCAN, VESTA, VENUS und Mars). Die Lokomotiven der M.A.B. wurden noch in England von Stephenson (4), Sharp (2) und Fenton (2) gebaut.

Damit sind wir auch schon bei den Lokomotiven der K.Bay.Sts.B., die ab 1844 beschafft wurden, diesmal schon in Deutschland, aber noch nicht wie später fast ausschließlich von Maffei und Krauss, sondern zusätzlich noch von Kessler und Mayer. Diese Dampflokomotiven hatten alle die Achsanordnung „1A1“ und wurden analog zu den Loks M.A.B. mit Namen bezeichnet und genauso beschildert.

Mit zunehmendem Streckenausbau nahm die Zahl der Lokomotiven zu, ab 1847 wurden zwei- und wegen der „Schiefen Ebene“ auch dreigekuppelte Dampflokomotiven eingesetzt. Damit war die Zeit reif eine Einteilung der Lokomotiven in Gattungen vorzunehmen um die Übersicht zu behalten. Es galt das

1. bayrisches Bezeichnungsschema ab 1844

Lokomotiven mit einer angetriebenen Achse erhielten die Bezeichnung „A“, welche mit zwei gekuppelten Achsen „B“ und bei drei „C“. Um gezielt gleichartige Lokomotiven in einer Gattung zusammenfassen zu können, wurde dem Buchstaben zusätzlich noch eine römische Ziffer beigefügt.
1850 ergab sich dann folgendes Bild:

24 Lokomotiven der Gattung A I
13 Lokomotiven der Gattung A II
22 Lokomotiven der Gattung B I
5 Lokomotiven der Gattung C I

die Loks der ex. M.A.B. wurden intern zwar als A 0 bezeichnet, offiziell wurde dies aber nicht, da die Loks in den 1850ern in Mehrkuppler umgebaut und dann den „passenden“ Gattungen zugeschlagen wurden. Dabei behielten sie ihren Namen bei – genau wie die ebenfalls umgebauten ungekuppelten Lokomotiven der Gattungen A I bis A V.

2. bayrisches Bezeichnungsschema ab 1850

Es stellte sich bald heraus, dass das System, die Lokomotiven mit Namen zu bezeichnen, nicht mehr ausreichend war, deswegen bekamen die Lokomotiven 1850 zusätzlich eine fortlaufende „Inventarnummer“ zugewiesen. Diese wurde am Schornstein und am Tender der Lokomotive aufgemalt.
Leider fehlte auch hier ein konsequentes Vorgehen – Namen und Inventarnummern verkaufter oder verschrotteter Lokomotiven wurden einfach an neue Lokomotiven „weitervererbt“ – Grundlage späterer Verwechslungen und Ursache, dass sich aus der Inventarnummer nicht auf die Bauart/Funktion der Lokomotive schließen lässt.

3. bayrisches Bezeichnungsschema ab 1892

Als 1892 die Probleme mit der Namensgebung und den Inventarnummern zu offensichtlich wurden, gab die K.Bay.Sts.B. die Vergabe von Lokomotivnamen auf. Stattdessen wurde das System der Inventarnummern grundlegend umgestellt,
Die höchste Inventarnummer war zu diesem Zeitpunkt die „980“. Vorhandene Loks behielten ihre Namen und Inventarnummern, neue Maschinen bekamen aber ein Schild mit der sogenannten Betriebsnummer statt des Loknamens, die aus den Inventarnummern hervorging.
Die Betriebsnummern starteten bei „1000“ und waren in 100er oder 50er Blöcke aufgeteilt, so dass Lokomotiven einer Gattung auch zusammenhängende Betriebsnummern bekam. Zumndest in der Theorie, praktisch war das anders, aber dafür wurden auch „Löcher“, also unbesetzte Betriebsnummern in Kauf genommen.
Auch verschwand die Betriebsnummer, wenn die Lok verkauft oder ausgemustert wurde. Die Anschrift der neuen Bahnnummer am Kamin oder Tenderrückwand bzw. Führerhausrückwand bei Tenderlokomotiven entfiel, da sie ja als Messingschild am Langkessel oder an der Führerhauswand angebracht wurde.

Was war aber bis 1892 noch passiert? Ab 1870 gab es bei der K.Bay.Sts.B. Tenderlokomotiven. Da sich 1870 niemand eine Dampflok mit mehr als drei gekuppelten Radsätzen vorstellen konnte, vergab man leichtfertig den Buchstaben „D“ an die Tenderlokomotiven, was 1895 zu Problemen führte – dazu aber später.

Jetzt nochmals zurück ins Jahr 1856:
der Ausbau des Staatsbahnnetzes kostete das Königreich mehr Kapital, als es aufbringen konnte – für ein Bahnnetz im Osten Bayern reichten die Gelder nicht. Deshalb überlies Bayern die Erschließung der niederbayrischen und Oberpfälzischen Gebiete der 1856 gegründeten „Königlich Priviligierten Aktiengesellschaft der Bayerischen Ostbahnen“ kurz „B.O.B.“
Einer der Aktionäre war J.A.Maffei, der auch alle Lokomotiven lieferte, als da waren:

24 ungekuppelte Lokomotiven mit den Bezeichnungen A 1 bis A 24. A 1 bis A 12 waren Crampton-Loks und hatte auch zusätzlich Namen erhalten.
109 zweigekuppelte Lokomotiven. B 1 bis B 66 mit der Achsfolge 1B, B 67 bis B 78 Achsfolge 1B als Umbau aus A 13 – A 24, B 79 bis B 90 Achsfolge 1B als Umbau aus A 1 bis A 12, B 91- B 109 Achsfolge 1B.
64 dreigekuppelte Lokomotiven, C 1- C 12, C 13 bis C 64.
14 Tenderlokomotiven, D 1 bis D 12, D 13 bis D 14.

Soweit wäre das Schema ja logisch und klar gewesen, hätte es nicht zwei Lokomotiven E 1 und E 2 (ab 1873 A 1II und A 2II) der Achsfolge B gegeben.
1874 geriet die B.O.B. in finanzielle Schwierigkeiten und musste vom Bayrischen Königreich übernommen werden. Am 01.01.1876 wurde sie in die K.Bay.Sts.B. eingegliedert.
Jetzt hatte die K.Bay.Sts.B. zwei Bezeichnungsschemata gleichzeitig, denn erst 1892 wurden die Ostbahnloks nicht nur „buchmäßig“ ins Nummerschema der K.Bay.Sts.B. übernommen, sondern auch mit den neuen Bahnnummern umbeschildert. Solange behielten sie einfach ihre B.O.B.-Gattungsschilder, nur die Eigentumsschider wurden sofort getauscht.



Bis 1901 ergab sich dann folgendes Bild der Lokomotivgattungen der K.Bay.Sts.B. nach dem 3. Bayrischen Bezeichnungsschema:



Und da war es dann auch schon passiert: 1895 musste der Buchstabe „E“ für einen Vierkuppler herhalten, die Entwicklung lief auf die ersten Fünfkuppler hin, dazu hatte man eigentlich vier grundverschiedene Lokomotivtypen in die „E I“ gequetscht, E I (1Dn2), E I (1’Dn2), E I Sondermann (1’Dn4v) und E I Vauclain (1’Dn4v).
Eine Doppelbesetzung der D II, die Zwillings- und Verbundtypen der C IV und B XI, die Ostbahnbaureihen der B V, B IX, C II, C III, D II und DIV machten das dritte Bezeichnungsschema inzwischen recht unübersichtlich.
Dazu war es nicht mehr erkennbar welchem Verwendungszweck eine Gattung diente, die C V war eine Schnellzug-, die C VI eine Güterzuglok, bei den Tenderlokomotiven bestand keine Trennung zwischen Güterzug, Hauptbahn- und Lokalbahnlok.
Ein neues Bezeichnungsschema musste also her!

4. und zeitlich letztes bayrisches Bezeichnungsschema ab 1902 (naja plus/minus)

Nach bayrischer Tradition natürlich nichts vollkommen Neues, die Einführung benötigte auch ein paar Jahre, zudem blieb bei bereits existierenden Lokomotiven alles beim Alten, aber immerhin brachte das 4. Schema doch einige grundlegende Verbesserungen
Anhand der Gattung sollte der Verwendungszweck und die Achsaufteilung der Lokomotive erkennbar sein, für die laufende „Ordnungsnummer“ innerhalb der Gattung hatte man ja bereits die Bahnnummer.


Nach dem(n) Kennbuchstaben wurde dann noch die Zahl der angetrieben Achsen und die Gesamtzahl der Achsen getrennt durch einen Querstrich angegeben.
Beispiel: S 3/6 (gesprochen: „S drei sechs“
War eine Gattung nicht eindeutig, so wurde zusätzlich angegeben, ob es sich um eine Nass- oder Heißdampflok handelt. Auch gab es bei zwei Loks noch die Zusatzbezeichnung Vauclain.
Beispiel: G 4/5 N und G 4/5 H bzw.
Diese Zusätze wurden zwar bei der Verwaltung verwendet, jedoch ebensowenig wie „zw“ oder „vb“ auf das Lokschild gegossen.
Folgende Gattungen wurden nach dem neuen Schema eingeführt:



Geplant war noch die Gattung GtL 4/5, sie wurde auch gebaut, aber schon als BR 98.10 an die DRG abgeliefert.

5. bayrisches Bezeichnungsschema

Was kommt denn da jetzt noch? Am Anfang hatte ich es ja schon erwähnt, das Königreich Bayern hatte 8 Regierungsbezirke (wie die Prinzregententorte Schichten) – also kommt jetzt die Rheinpfalz.
Klamm wie Bayern nun mal war, bleib es 4 Privatgesellschaften überlassen, das linksrheinsche bayrische Eisenbahnnetz - sprich pfälzer Netz - zu erbauen.
Das waren die „Pfälzische Ludwigsbahn“ (1844), die „Pfälzische Maximiliansbahn“ (1852), die „Neustadt-Dürkheimer Eisenbahn“ (1862) und die „Pfälzer Nordbahnen“ (1866), die 1870 zur „Pfalzbahn“ fusionierten.
Nun hatte die Pfalzbahn ein eigenes Bezeichnungsschema, das im Laufe der Zeit auch rechtsrheinisch „Anleihen“ aufnahm – aber immerhin, es war ein eigenes Schema – leider nicht nur eines.
Die ersten Lokomotiven der Pfalzbahn erhielten noch keine Klassenbezeichnung - lediglich Namen, die nach Ausmusterung wieder mal vererbt werden konnten und wie im rechtsrheinischen Bayern auch eine Inventarnummer – nur dass die hier gleich Bahnnummer hieß, aber genauso sinnentleer verteilt wurde.

Dann gab es bei der Pfalzbahn noch die Schiffsbrückenlokomotiven – die waren scheinbar zu klein für Namensschilder und hatten deshalb nur Bahnnummern. Diese wurden zuerst aus Einzelziffern am Schlot, später als Kombinationsschild mit der Eigentumsbezeichnung „Pfalz.B.“ an der oberen Rauchkammer und zuletzt als Einzelschild am Führerhaus oder nach 1905, als die Namensvergabe eingestellt wurde, am Langkessel angebracht.
Lokomotiven mit Namensschildern behielten diese bis zur Reichsbahnzeit oder bis man im 1. Weltkrieg das Messing benötigte.

Ab 1870 führten die Pfalzbahnen bei neuen Lokomotiven Gattungsbezeichnungen ein:
Die Verwendung der Lokomotiven wurde durch Buchstaben gekennzeichnet, mit

P für Schnell- und Personenzuglokomotiven
G für Güterzuglokomotiven und
T für Tenderloks

Innerhalb eines Buchstabens wurden Lokomotiven ähnlicher Achsanordnung mit einer arabischer Ziffer bezeichnet zusammengefasst. Damit die einzelnen Gattungen unterschieden werden konnten, bekamen die arabischen Ziffern hochgestellte römische Ziffern nachgestellt.
Bis zur Verstaatlichung der Pfalzbahn am 07.12.1904 und der vollständigen Übernahme am 01.01.1909 durch die K.Bay.Sts.B. ergab sich dann folgendes Bild:



6. bayrisches Bezeichnungsschema (muß das sein? Leider ja!)
also das Schema nach der Übernahme, als die durch die K.Bay.Sts.B. angeschafften Lokomotiven zwar weiter Pfälzische Bahnnummern erhielten, aber Gattungsbezeichnungen der rechtsrheinischen Lokomotiven, als da wären:



Jetzt stellt Euch mal folgene Situation vor: irgendwann 1914 treffen im Münchner Hauptbahnhof neben dem Königspavillion Ausstellungsbedingt ein paar Lokomotiven der K.Bay.Sts.B. zusammen:

bay. D VI „NÜRNBERG“
bay. Gt 2x4/4 „5751“
pfälz. P4 „PFÄLZERWALD“ und
pfälz. S 3/6 „350“


Dann sollte noch am Holzkirchner Bahnsteig die D XII „2204“ abfahrbereit stehen und schon wären 5 verschiedene Bezeichnungssysteme der K.Bay.Sts.B. an einem Ort vereinigt.

Manchmal ist es einfach, manchmal eben auch nicht.

Ich hoffe Euch hat dieser Exkurs in die Eisenbahn-Urzeit gefallen.


Zum Schluss noch eine kleine Quellenangabe:
1. Spielhoff, Lothar, Lokomotiven der bayerischen Eisenbahnen, Bd1-Bd3, Verlag J. Pepke, München 2010
2. Zintl, Robert, Die Alten Bayerischen, Motorbuch Verlag, Stuttgart, 1984
3. Zintl, Robert, Die Letzten Bayerischen, Motorbuch Verlag, Stuttgart, 1979
4. Schnabel, Heinz, Lokomotiven bayerischer Eisenbahnen, Transpress, Berlin, 1992
5. Diener, Wolgang, Anstrich und Bezeichnung von Lokomotiven, transpress Verlag, Stuttgart, 1996
6. Samek, Thomas, Lokomotivschilder, EK-Verlag, Freiburg, 2004


Chickenwire und memento haben sich bedankt!
Laenderbahner

   


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