Modellautos und Car-System

Modellbesprechungen Automodelle 1:87 - Mercedes Heckflosse von Herpa

 von kurtbroer , 01.07.2021 00:36

Vorstellung Mercedes-Benz 200 W110 1965 Heckflosse, Maßstab H0 1:87

Die "kleine-große Heckflosse" von Herpa

Miniaturen der Mercedes Heckflossen-Typen W 110/111/112 sind im Modellautomaßstab H0 1:87 zahlreich von fast allen namhaften Modellherstellern umgesetzt worden. Seit Kurzem hat auch Herpa hier eine eigene Modellinterpretation zu bieten, die zur Spielwarenmesse 2020 bereits von Herpa als Neuheit in Aussicht gestellt und mit den Neuheiten für November/Dezember 2020 offiziell angekündigt worden war. Jetzt, im Juni 2021, kam das Modell in den Handel.

Die Vorbilder: Mercedes-Benz Baureihen W111/112 und W110

Beim großen Vorbild der sogenannten Mercedes-Heckflossen gibt es einige entscheidende Differenzierungen. Zunächst wurde im Jahre 1959 die Baureihe W111 präsentiert. Die Limousinen der Typen 220/S/SE waren mit einem Sechszylinder-Reihenmotor ausgestattet und lösten die seit 1954 gebauten „großen“ Sechszylinder-Pontonmodelle (W180/W128) ab. Folglich werden die Sechszylinder-Typen der Baureihe W111 und ab 1961auch W112 (300SE/SEL) auch „große Heckflosse“ genannt; diese Baureihen gelten als Vorläufer-Typen der späteren S-Klasse. Stilistisch waren die Heckflossen-Typen, die unter der Ägide von Fritz Nallinger (Chefentwickler), Karl Wilfert (Design) und Béla Barényi (Technik) entstanden, ganz dem Zeitgeschmack angepasst. Wiesen die Ponton-Modelle noch rundliche Formen auf, so waren die Heckflossen-Typen durch betonte Kanten, Trapezform und die typischen Heckflossen geprägt. Bei Mercedes hielt die Automode der Heckflossen allerdings relativ spät Einzug, zudem waren die Flossen dem europäischen Geschmack angepasst und ihren Dimensionen eher zurückhaltend ausgebildet, zumindest verglichen mit jenen Exemplaren amerikanischer Fahrzeuge jener Jahre. Nachfolger der Baureihen W111/112 waren die im Jahre 1965 vorgestellten Modelle der Baureihen W108/109, die maßgeblich durch Paul Bracq gezeichnet wurden. Technisch basierten W108/109 jedoch weitestgehend auf ihrern Vorgänger-Modellen, was beispielsweise am identischen Radstand (2750 mm bzw. 2850 mm in der Langversion SEL) nachvollziehbar ist.

Die Grundkonstruktion der Baureihe W111 diente auch als Vorlage für die zweite Entwicklungsstufe der Mercedes-Heckflossen-Modelle, nämlich für die Vierzylinder-Typen. So folgte 1961 die Einführung der Baureihe W110, der sogenannten „kleinen Heckflosse“. Die Typen 190 und 190 D (Diesel) lösten damit die kleinen Typen der Ponton-Baureihe W120 ab (180/180D) und gelten als Vorläufer der heutigen E-Klasse. Von der Fahrzeugarchitektur her teilten sich die kleinen Heckflossen-Typen der Baureihe W110 prinzipiell den Karosserierohbau der größeren Brüder W111/112, verfügten jedoch um einen 145 mm kürzeren Vorderwagen und um einen 50 mm kürzeren Radstand (Länge Limousinen W111/112: 4875 mm, Radstand: 2750 mm [S und SE; SEL waren 100 mm länger]; Länge W110: 4730 mm, Radstand: 2700 mm). Die Fahrzeugbreite war hingegen bei den Limousinentypen der Baureihen W111/112 und W110 mit 1795 mm identisch. Tatsächlich bot Mercedes in den frühen 1960er Jahren prinzipiell ein Einheitsauto an, das nach dem Prinzip des Baukastensystems in verschiedenen Fahrzeuggrößen und -klassen gebaut werden konnte. Augenscheinlichstes Erkennungsmerkmal der W110-Typen waren (neben anderen kleineren Details, auf die hier nicht weiter eingegangen wird) die runden Scheinwerfer, W111/112 hingegen verfügten über große, vertikal stehende Scheinwerfer. Der W110 wurde zudem zeitweise als Kombi angeboten, auch Binz und Miesen bauten Kombi- und Ambulanzfahrzeuge sowie Bestattungswagen auf der Basis des W110. 1965 wurden die Modelle der kleinen Heckflosse überarbeitet und erhielten fortan die Typenbezeichnungen 200/200 D. Auffälligste Merkmale der Überarbeitung sind unter anderem die geänderte Position der Frontblinker (vormals seitlich oben an den Frontkotflügeln im Bereich zur A-Säule, nun vorne unter den Scheinwerfern montiert) sowie leicht in der Form geänderte Heckleuchten. Nachfolgebaureihe des W110 war ab 1968 der legendäre durch Paul Bracq gezeichnete Mercedes „Strichacht“ (W114/115).

Außerdem sollen hier im Kontext des Heckflossen-Themas die wunderschönen Cabrios und Coupés der Baureihen W111/112 Erwähnung finden. Vorgestellt wurden diese Karosserieversionen 1961/62. Auffällig ist, dass bei den Cabrio- und Coupe-Versionen die Heckflossen, das stilistische Merkmal der Limousinen-Typen, nahezu verschwunden waren. Letztlich wurden die Cabrios und Coupes der Baureihe W111 bis 1971 produziert. Soweit zu den Vorbildern.

Das Herpa-Modell

Herpa bildet mit seinem Beitrag im Maßstab H0 1:87 einen Mercedes 200 der Baureihe W110, also eine „kleine Heckflosse“ ab Baujahr 1965 ab, erkennbar an den Blinkern unterhalb der Frontscheinwerfer. Erhältlich sind die Modelle derzeit in schwarzer Lackierung (420457) sowie in Bicolor-Optik dunkelot mit cremefarbenen Dach (430739). Weiterhin ist eine typische Taxi-Version in schwarz angekündigt (095686).

In Anbetracht der Menge an Interpretationen von Mercedes-Heckflossen macht das durchaus Sinn, da meistens die „große Heckflosse“ (W111/112) Gegenstand der Darstellung war. Lediglich Brekina widmete sich 1982 erstmals mit einem Modell des W110 als Limousine und Kombi ab Baujahr 1961 dem Thema, später wurde auch die überarbeitete Version ab Baujahr 1965 umgesetzt. Im Jahre 2010 erschien eine sehr schöne Neuentwicklung wiederum des 1961er Vorbildes aus dem Hause Starmada.

Mir liegt das schwarze Herpa-Modell vor. Erfreulich ist, dass das Modell sehr schöne Rolleigenschaften hat und nicht auf dem Schreibtisch herumeiert oder sich sogar selbst ausbremst wie manch anderes Fahrzeug in diesem Maßstab. Zudem war ich positiv überrascht, dass Herpas Heckflosse einen filigranen kleinen Mercedes-Stern als Fotoätzteil auf dem Kühler tragen darf. Die Prospektabbildungen zeigten nämlich Handmuster, die auf eine stilisierte Darstellung des Sterns schließen ließen. Die zweite Überraschung ist, dass die Chromteile am Modell üppiger bedruckt sind, als es die Ankündigung zeigte. Sämtliche Chromteile des Vorbildes werden durch Silberdruck hervorgehoben – Türgriffe, Zierleisten, Scheibenwischer, selbst die Zierleisten um die Fensterrahmen herum. Besonders am schwarzen Modell kommt dies sehr schön zur Geltung. Der fein aufgedruckten Typenbezeichnung auf dem Kofferraumdeckel zufolge handelt es sich zudem einen Mercedes 200 D. Selbstverständlich sind Stoßstangen und Kühlergrill in Chromoptik ausgeführt. Die Scheinwerfer sind einzeln eingesetzt und mit feinen Chromringen versehen. Erfreulich ist zudem, dass die Rückleuchten rottransparent eingesetzt sind und nicht bloß durch Aufdruck dargestellt werden. Zudem sind die Blinklichter vorne und hinten orangefarben abgesetzt. Fahrerseitig ist zudem ein verchromter Außenspiegel einzeln eingesetzt. Im Innenraum finden sich strukturierte Sitze und ein einzeln eingesetztes filigranes Lenkrad mit zeittypischem Hupring wieder. Die Bodenplatte ist strukturiert und zeigt wesentliche Details (wobei aber offenbar die Untersicht des Motors vergessen wurde). Die verchromten Felgen sind mittig im Bereich der Radkappe durch farbliche Bedruckung vorbildkonform auf die jeweilige Karosseriefarbe abgestimmt. Die auf die Felgen aufgezogenen Reifen bestehen aus Weichkunststoff und weisen die beschriebenen erfreulich guten Rolleigenschaften auf.


Das Problem mit der Länge...

Stutzig wurde ich allerdings, als ich das Herpa-Modell des W110 neben eine „kleine Heckflosse“ W110 aus dem Hause Brekina-Starmada stellte. Erkenntnis: Das Herpa-Modell des W110 ist viel zu lang. Der zusätzliche Vergleich mit einem W111/112 von Wiking zeigte, dass dieser in der Länge mit dem Herpa-Neuling identisch ist. Ich habe nicht haarscharf nachgemessen, sondern einfach die Modelle miteinander verglichen: Tatsächlich liegt die Überlänge des Herpa-Modells im Bereich des Vorderwagens. Meine Vermutung: die Modellkonstrukteure des Herpa-Modells haben die Länge der W111/112-Versionen (Länge Vorbild: 4875 mm) für den W110 (der im Vorbild mit 4730 mm 145 mm kürzer ist) angenommen. Korrekt scheinen die Radstände dargestellt zu sein: Starmada W110 und Herpa W110 sind haben hier identische Abstände zwischen den Achsen, während der W111/112 von Wiking hier korrekter Weise etwas mehr bietet (Radstand Vorbild W110: 2700 mm zu W111/112: 2750 mm). Durch die Überlänge des Vorderwagens am Herpa W110 wirken die Proportionen des Modells im Hinblick auf das große Vorbild verfälscht. Dies fällt vor allem im direkten Vergleich mit dem stimmig konstruierten Starmada-Modell des W110 auf. Bei Herpa ist der vordere Karosserieüberhang einfach zu üppig. Dieser Fehler ist für ein neu konstruiertes Modell wirklich schade. Somit lässt sich feststellen, dass Herpa eine „kleine-große Heckflosse“ miniaturisiert hat.


W110-Modelle von Brekina und Starmada

Im Vergleich zu dem 2010 eingeführten Starmada-Modell des W110 fällt Herpa deutlich ab, was Proportionen und Ausführung angehen. Meiner Ansicht übertrifft sogar die alte Brekina-Interpretation des W110 aus dem Jahre 1982 das neue Herpa-Modell in der Wiedergabe der Proportionen deutlich.


Die "große Heckflosse" W111/112 im Modell

Zudem zieht die Fotostrecke auch zahlreiche Interpretationen der großen Heckflosse W111/112 heran. Die meines Erachtens beste Darstellung liefert das 1995 vorgestellte Wiking Modell des größeren W111/112 ab. Auch dieses Modell trifft die Form der Heckflossen-Karosserie deutlich besser als die neue Herpa-Entwicklung und ist ganz dicht am Starmada-Modell dran. Selbst das alte Wiking-Modell des W111, der Mercedes 220 S, der 1961 im Wiking-Programm im Kontext der ersten verglasten PKW-Modelle erschien, schlägt sich, was die Proportionen der Karosserie angeht, erstaunlich überzeugend im Vergleich zu Herpa aus dem Jahre 2021! Da Wiking in den 1960er Jahren noch in den Maßstab 1:90 verkleinerte, fällt das Modell im Vergleich zu den 1:87er Miniaturen naturgemäß auch kleiner aus. Der besondere Charme des Modells lässt darüber hinwegsehen.


Im Vergleich zum Herpa-Modell fallen dagegen die Modelle des W111/112 vom PreP/Praline/Busch ab. PreP kam 1982 mit einer Heckflosse auf den Markt. Angeblich wurde das Modell ursprünglich für Brekina konstruiert, und ebenso angeblich war man in Umkirch mit dem Ergebnis nicht zufrieden und ließ darauf hin das besagte Modell des W110 neu entwickeln... Die Fotos zeigen unterschiedliche Versionen von PreP, Revell-Praline und Busch.


Nicht unerwähnt bleiben sollen hier auch die einfachen Interpretationen des W111/112 von Herstellern wie Eko, Anguplas und Norev, letztere werden hier auch mit Foto gezeigt. Auch Lego bot seinerzeit die große Heckflosse im Modell an (Maßstab ca. 1:80). Zudem fertigte Lima die W111/112-Limousinen als Ladegut für Eisenbahnwaggons in unterschiedlichen Versionen (mit Rollachsen und Verglasung sowie in einfacherer Ausführung mit feststehenden Rädern und ohne Verglasungseinsatz).


Cabrios, Coupés und die Nachfahren der Heckflosse

Darüber hinaus stelle ich im Kontext dieses Beitrages auch das Nachfolgemodell des W111/112, die Baureihe W108/109, die ja technisch weitestgehend noch auf der Basis des W111/112 aufbauten, mit einem Foto vor. Modelle in 1:87 gibt es von Wiking seit 1968 und von Starmada seit 2009. Starmada verkleinerte sogar die europäische und US-amerikanische Version (u.a. geänderte Scheinwerfer, US-Modell zudem mit typischen Alufelgen).


Auch die eleganten Cabrios und Coupés der Baureihen W111/112 von Wiking (1963/1966) und Brekina (1990) möchte ich an dieser Stelle im Foto vorstellen. Brekina spendierte seinen Modellen eine schwekbare Motorhaube, unter der sich auch die Nachbildung des Motors befindet.


Abschließend noch einmal die "kleine Heckflosse" W110 mit ihrem Vorgänger W120 und Nachfolger W114/115:


Fazit:

Herpa bietet mit dem Mercedes-Benz 200 W110 Heckflosse des Baujahres 1965 einen populären Mittelklasse-Mercedes an. Modellautosammler wissen, dass Herpa mit der Umsetzung der Youngtimer-PKW nicht immer ein glückliches Händchen bewiesen hat. Das neueste Herpa-Youngtimermodell macht hier leider keine Ausnahme: Der Mercedes 200 kommt einerseits mit erfreulichen Ansätzen und schönen Details, leistet sich aber im Gegenzug den groben Patzer der Überlänge. Diejenigen, die sich daran nicht stören und ein Automodell zur Ausstaffierung der Epoche III/IV-Anlage suchen, werden sicherlich Freude an der "kleinen großen Heckflosse" haben.

kurtbroer
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