Ist es nicht grundsätzlich so, daß man die Idee einer Anlage hat und vor allem anderen mit dem Rollmaterial beginnt?
Der 25-jährige, seit einiger Zeit verheiratete Thoralf Tüffeltuter beschließt 1970 eine eigene Modellbahnanlage zu bauen. Zu den ersten Anschaffungen gehört eine 01 von Fleischmann im Maßstab 1:85. Dazu noch ein schöner Schnellzug im Maßstab 1:100. Und viele weitere Loks und Wagen.
1973 steht der Rohbau, man kann schon ein bißchen fahren. Aber die Familie hat Vorrang! Und am Haus gibt es auch so viel zu tun.
1980 ist die Elektrik fertig. Naja, fast. Irgendwie funktioniert auch das meiste. Die 01 hat inzwischen Schwestern bekommen in Gestalt von 03, 05, S 3/6 von GFN und Liliput.
1985, das dritte Kind wird gerade eingeschult, gefällt ihm die 01 von GFN nicht mehr. Sie wird mit einer Laufleistung von 270 m (Nur probegefahren!) verkauft. Ersatz stellt eine 01 von Roco dar. Tolle Maschine!
1990 ist die Landschaftsdecke geschlossen. Kurz danach fällt die Entscheidung, einen Teil der Weichen zu ersetzen. Zuviele Ausfälle! Ständige Entgleisungen. Ja und die Schnellzugwagen gefallen ihm nun auch nicht mehr und werden durch längere und besser detaillierte Wagen von Ade ersetzt. Außerdem wären Kurzkupplungen an allen Wagen schön!
1995, der Älteste ist ausgezogen, hat seine Liebe zu brasilianischen Transvestiten entdeckt und braucht sein Zimmer nicht mehr. Thoralf wird 50 und beschließt mit der Anlage in das ungenutzte Kinderzimmer zu ziehen. Eigentlich die Gelegenheit zum Neuanfang. Und die Möglichkeit, die Sammlung zu bereinigen und sich epochenmäßig zu konzentrieren. Die halbfertige Anlage wird abgerissen. Uraltes Gleismaterial aus den 60ern, zahllose Baufehler, gefärbtes Sägemehl.
2000, Thoralf entscheidet sich für die Epoche II. Die inzwischen alte 01 von Roco trägt die Pumpen in Umlaufmitte, eine Umbeschriftung kommt nicht in Frage. Verkauf der Lok, wie auch überhaupt der ganzen modernen Wagen und Loks. Als Ersatz kommt eine Epoche-II-01 von Roco, neue Auflage. Der Rahmen der Anlage steht, erste Gleise liegen.
2005, Thoralf geht in Rente. "Endlich in Ruhe an der Anlage bauen!" Irrtum, die Frau sieht Handlungsbedarf im Garten, wünscht sich außerdem noch eine Sauna. Und die Enkel!
2010, Thoralf wird 70. Die Anlage ist immer noch im Rohbau, der Fahrzeugbestand würde für 5 oder 6 ähnlich umfangreicher Anlagen reichen. Also wird vieles über eBay verkauft, das meiste ungenutzt, in OVP. Zum Teil ist das Rollmaterial 40 Jahre alt. Nach diesem Befreiungsschlag beschließt Thoralf, die größeren Radien im neuen Sichtbereich auszunutzen und kauft sich eine Kleinserien-01 von Weinert, Fertigmodell. Und passende Schnellzugwagen in 1:87 von Brawa. Ein Begrasungsgerät wird angeschafft.
2017, nach der Trauerzeit räumen die Erben das Modellbahnzimmer aus. Weder Sohn noch die Töchter oder gar die spielekonsolenvernarrten Enkelkinder möchten das Hobby weiterführen. Die Anlage wird zum Spermüll an die Straße gestellt, nachdem in zwei Jahren niemand Interesse am Kauf hatte.
In allen möglichen Kisten wird unbenutztes Rollmaterial gefunden, Teile von Bausätzen liegen hier und da. Am Ende hat keiner einen Überblick und die Vorstellungen der Erben, für alles 25 000 Euro zu erlösen, bleiben eine Illusion. So beschließt der Familienrat
2018, das ganze Zeug einem Verwerter zu verkaufen. Es gibt 1800 Euro für alles, genug um das nun leere Zimmer für die ukrainische Altenpflegerin einzurichten, die nun nötig ist, um Thoralfs Witwe zu pflegen...