Moin Kollegen,
Ich denke mal, eine Sammlung von "Anekdoten und Geschichten rund um die Bahn auf Schienen" dürfte auch in einem Forum nicht fehlen.
Vorwort:
Offiziel gibt es soetwas nicht, daß nicht Eisenbahner Zutritt zu Diensträumen bekommen oder Eisenbahner bei ihrer Arbeit besuchen und aus diesem Grund werden hier genannte Personen anonymisiert und der Name nicht genannt, so daß den betreffenden Personen keinerlei negativen Konsequenzen entstehen.
Im Laufe der Zeit freundet man sich auch mit Eisenbahnern an, die von ihrer Arbeit berichten oder über "lustige" Ereignisse Auskunft geben, und das nur teilweise, eventuell miterlebte Ereignis, durch Information, weiter vervollständigen. Dadurch entstehen dann Anekdoten und Geschichten von allem Möglichem, was auf Schienen oder mit Schienenfahrzeugen fährt.
Der "vergessene" Güterwagen
Situationsbeschreibung:
Zweigleisige Bahnstrecke zwischen zwei Metropolen in Norddeutschland auf der Vogelfluglinie.
Damals Viergleisige Bahnstation mit Gleis 1 als Hausbahnsteig, Gleis 2 u. 3 an einem Inselbahnsteig.
Nach rechts ist Fahrtrichtung Hamburg, nach links ist Fahrtrichtung Lübeck.
Für diese Bahnstation wurde in Bad Oldesloe ein Güterwagen an den Steuerwagen eines Nahverkerszuges gehängt, der von einer dort gerade tätigen Rangiermannschaft zu einem Anschließer ins Industriegebiet verbracht werden sollte.
Die Rangiermannschaft bestehend aus Rangierlokführer und einem Rangierer räumten auf dem Sägewerkgelände ein paar Wagen, um Platz zu schaffen, für den später eintreffenden Güterwagen für die Fa. Raiffeisen hinter dem Sägewerk.
Wir, das waren ein paar Freunde und ich, wir saßen auf der Ladefläche einer abgestellten Gepäckkarre und unterhielten uns mit dem Bahnhofspersonal an der offenen Tür vom Stellwerksraum im Empfangsgebäude.
Der Fdl = Fahrdienstleier meinte nur, "gleich wirds lustig es kommt ein Güterwagen."
Der betreffende Nahverkerszug fur planmäßig auf Gleis 1 ein. Lok Richtung Hamburg und hinterm Steuerwagen ein Güterwagen.
Der Beamte von der GepA = Gepäck Ausgabe fuhr mit seiner Elektrokarre zum Packabteil des Steuerwagens und entlud ein paar Koffer und fuhr zurück in die GepA.
Der Zf = Zugführer kletterte aus dem Steuerwagen ging ein paar Schritte Richtung Stellwerksraum und sah fragend zum Fdl, welcher nur sagte: "Da mußt du wohl selber ran, die Kollegen sind im Anschließer."
Kopfschüttelnd ging der Zf zum Lf = Lokführer, es begann eine lautstarke Diskussion mit wilden Gesten.
Der Zf stieg in den ersten Wagen hinter der Lok ein, kam nach einigen Minuten wieder raus und ging wieder zur Lok und die Diskussion fand ihre Fortsetzung.
Der Fdl fragte über die Lautsprecheranlage: "Wartet ihr auf den Weihnachtsmann oder warum fahrt ihr noch nicht ab? Die Ausfahrt steht schon seit 5 Minuten!"
Der Zf pfeift und gibt das Abfahrzeichen und entert den ersten Wagen und bei der Ausfahrt klappen die Türen zu.
Der Zug fährt los, der Güterwagen auch.
Wir sind am diskutieren, wo wohl der Güterwagen abgehängt wird, als plötzlich der Rangierer fragend dasteht:
"Kam denn kein Güterwagen für Raiffeisen mit?"
Der Fdl entgegnete: "Doch, der fährt aber gerade Richtung Hamburg, wenn du dich beeilst bekommst du ihn vieleicht noch!"
Schallendes Gelächter aus dem Gepäckraum und der FKA = Fahrkartenausgabe und wir mußten auch lachen.
Das Telefon klingelte und der Fdl von der Nachbarstation fragte an, ob das seine Richtigkeit hätte, daß am ZS ein Güterwagen sei der ohne ZS fährt?
Der Fdl sagte: "Der wurde vergessen abzuhängen."
Etwas mehr als eine Stunde später kam in einem erneuten Umlauf eben dieser Zug aus Hamburg zurück aber mit gut 20 Minuten Verspätung und fuhr auf Gleis 3 ein.
Lok vorweg in Richtung Lübeck, dann der Güterwagen und dahinter die 6 Wagen vom Nahverkehrszug.
Der Grund der Verspätung war wohl offensichtlich, da mußte wohl ein Lf einen Lokumlauf machen, denn der nicht abgehängte Güterwagen versperrte die Sicht.
Rein theoretisch, wäre aber ein Umlauf nicht genug gewesen, sondern mindestens drei weitere.
1. Lokumlauf, Güterwagen abkuppeln und zu irgendeinem anderen Gleis fahren, wo das Nachbargleis auch frei ist.
2. Lokumlauf, Lok auf die andere Seite vom Güterwagen bekommen, dann Güterwagen zum Zug bewegen und hinten ankoppeln.
3. Lokumlauf, da der Güterwagen nicht Wendezugfähig ist muß die Lok nach vorne vor den Steuerwagen.
In Bahnhöfen mit viel Verkehr und zu wenig freien Gleisen wird das dann zum Problem, dann werden auch Notlösungen "in Kauf genommen" und auch mal "funf gerade sein lassen", Hauptsache der Regelbetrieb wird nicht zu lange, durch irgendwelche Umläufe, gestört. Rangierbewegungen in Vorwärtsfahrt sind auch nicht das Problem aber mit geschobenen Wagen ist ein zweiter Mann Pflicht und wenn dieser zweite Mann nicht da ist, fällt diese Aktion eben aus.
Im Hamburger Hbf einen Umlauf zu machen ist immer so ein zweifelhaftes "Vergnügen" nicht nur, daß mögliche Umlaufgleise belegt sind, manche Bahnsteige sind zu dem noch doppelt mit Zügen belegt, wer da also gezwungen ist einen Lokumlauf machen zu müssen ist mehrfach bestraft.
Das Gelächter von Kollegen und darauf warten bis Gleise frei sind, dann noch die Rüge vom Vorgesetzten, warum der Fahrplan nicht eingehalten wird.
Der Lf von eben diesem verspäteten Nahverkehrszug klettert aus seiner Lok und kuppelt den Güterwagen vom Steuerwagen ab und kommt zum Fdl und fragt ihn unfreundlich, patzig: "Wo willst du denn den Wagen hin haben?"
Der Fdl entgegnete kurz und bündig: "Moin heißt das erstmal, na gut, Weiche zu 4 ist gestört, dann stell' mal den Wagen auf 2 mach Umlauf über 1 und schieb' den Wagen auf 4, Ausführung, zack zack!"
Der Lf ging von dannen und der genervte Zf kam zum Stellwerksraum.
Der Umlauf begann, um aber nach dem Umlauf in Gleis 3 zu fahren, mußte bis fast vor das ESig = Einfahrsignal gefahren werden vor der Weiche zu Gleis 4 gab der Lf Hornsignal wegen falsch gestellter Weiche, keine Reaktion.
Erneutes längeres Hornsignal und wieder keinerlei Reaktion.
Der Lf brüllte aus dem Fenster seiner Lok: "Stell doch die Weiche Kollege!"
Der Fdl antwortete via Lautsprecher: "Hast du denn die Gleissperre aufgeschlossen, vorher wird das nix!"
Es dauerte nicht mal drei Minuten da stand ein wütender Lokführer beim Fdl: "Gib mir den Sch..ß Schlüssel!"
Der Schlüssel wird ausgehändigt und der Wagen auf Gleis 4 abgestellt dann das erneute Prozedere mit dem Schlüssel und ihn wieder im Stellwerk abgegeben die Lok wieder hinten angehängt und der Lf sitzt im Steuerwagen.
Der Zf gibt Abfahrsignal und nichts. Die Lok will nicht.
Der Zugausfall wird bekanntgegeben, der im Takt nachfolgende Zug nimmt die Fahrgäste mit auf und eine Reservelok wird angefordert.
Nach gut zwei Stunden bewegt sich endlich der verspätete Zug aus dem Bahnhof.
Nach 20 Minuten ein Anruf von Bad Oldesloe, die Lok ist nicht defekt, der Lf hatte vergessen die Steuerleitung zu kuppeln und war wohl nicht mehr so richtig bei der Sache, daß man ihn ablöste.
Wir hatten einen lustigen Nachmittag und lösten unser Bahnhofstreffen auf.
Das Bahnhofsfest
Selber Bahnhof an einem Samstag Nachmittag.
Wir saßen wie üblich auf der Gepäckkarre vor dem Stellwerksraum als der Beamte vom Gepäckraum sagte, "gegrillt haben wir auch schon länger nicht mehr, wer hat denn Lust?"
Wir Alle natürlich, also die Beamtin von der FKA, der Beamte von der GepA und der Fdl.
"Moment," sagte der Fdl. "Ich mache mich gleich auf den Weg, stell mir mal die E-Karre und beide Wagen vor das Gebäude ich hol eben Bier und Würstchen."
Sagte er und fuhr mit der E-Karre los in Richtung Stadt.
Nach gut 45 Minuten kam er zurück, der Grill wurde angeheizt und wir saßen wieder auf unserer Gepäckkarre als der Vorgesetzte vom Fdl vorbei kam und seinen Untergebenen anschnauzte: "Ich habe ja nichts dagegen, wenn ihr hier grillt und euer privates Bahnhofsfest veranstaltet, aber den Dienstplatz verlassen und Züge einer Hauptstrecke zum Erliegen bringen, geht garnicht. Und seit wann ist es erlaubt im Dienst Bier zu trinken? Apropos Bier, ich habe jetzt Dienstschluß ich darf mit ein Bier genehmigen."
Wir hatten dann aber noch einen gemütlichen Nachmittag.
Würstchen und Getränke wurden zum Selbstkostenpreis auch an Fahrgäste verkauft.