Hallo Zusammen,
ja, vielleicht nicht in Bezug auf dieses Wagen-Set, aber insgesamt, unsere Ansprüche sind sehr hoch, vielleicht zu hoch und sie steigen. Des weiteren hat sich gegenüber früher unsere Kultur völlig geändert. Lest Euch den Thread mal genau durch, wie oft hier das Wort "Ich" vorkommt. Wie oft liest man in diesem Thread und anderen "Ich sehe nicht ein...", "Für mein schwer erarbeitetes Geld...", "Ich", "Ich", "Ich"... Diese "Ich"-Zentriertheit haben wir in vielen Bereichen der Gesellschaft. Wenn "mir" der Gartenzwerg beim Nachbarn nicht gefällt, kommt der weg und wenn ich den gerichtlich wegklage. Und wir haben ein ganz anderes Zusammenrottungsverhalten als früher durch soziale Medien, wie dieses Forum hier, mit weltweiter Reichweite.
Laßt mich mal die Punkte erklären:
Früher waren viele Produkte simpel, ja, der 24 cm Blechwagen war super bedruckt, der hatte aber auch nur völlig gerade Flächen. Die Fenster waren einfach mit harter Kante ausgestanzt, um die Türen null plastische Modulierung. Türklinken waren aufgedruckt.Schaut Euch den Roco-Wagen mal genau an. Die Fensterlöcher sind nicht einfach glatt ausgestanzt, die haben eine Tiefe, gehen leicht plastisch nach innen hinein und dahinein sind die Fenster mit Rahmen eingesetzt. Die ganze Türumgebung, wieviele Vertiefungen gibt es bei diesem Modell? Und überall hinein sollen Bedruckungen korrekt und Farbtrennkanten sauber weitergezogen sein. Das ist aufwendig, ist teuer und fehleranfällig. Und genau an diesen Stellen schauen wir super genau hin. Ich weiß nicht wieviele von Euch, die in diesem Thread geschrieben haben, schon einmal bei einem Modellbahnhersteller vor Ort die Produktion begutachtet haben? Ich kann überwiegend nur für die Lokproduktion und nur für Göppingen sprechen, nicht weil ich Märklin so dolle mag, nein, PIKO hätte mich auch sehr interessiert, aber das schaffe ich nicht in einer vernünftigen Tagestour aufgrund der Entfernung zum Wohnort. In den vorhergehenden Beiträgen wird immer von automatisierten Herstellungsprozessen geredet. Ihr glaubt nicht, wie oft der Mensch dabei irgendwelche Zwischenschritte von Hand machen muß. Gerade beim Tampondruck bei Märklin wird jedes Lok- oder Tendergehäuse von Hand in der Druckmaschine aufgesteckt. Entweder geht das nicht automatisch oder die Unterschiede zwischen Modellen sind zu groß, so daß eine Automatisierung bei den geringen Stückzahlen nicht lohnt. Der Mensch ist halt super flexibel und schnell lernfähig, macht aber auch Fehler. Ich habe nicht den Eindruck, daß in Göppingen der Tampondruck auf das Abstellgleis fährt, die Maschinen brummen wie verrückt und es sind nicht weniger davon geworden.
Aber warum wohl halten immer neue Techniken z. B. beim Druck Einzug? Wenn ich mir die Farbgebung einer Lok anschaue, wieviele Arbeitsschritte das sind. Wieviele Menschen manuell daran beteiligt sind. Das ist teuer. Bei Digitaldruck entfallen sicherlich einige Arbeitsschritte, weil z. B. das Konzernlogo wie DB und andere Piktogramme gleich mit der normalen Farbe der Außenwand mit aufgetragen werden können. Und wir sind es, die permanent die Preise kritisieren, das erhöht den Druck zu neuen Techniken mit allen Vor- und Nachteilen.
Unsere Kultur ist völlig anders geworden. Mein Vater war in den 70er Jahren völlig perplex, als er mit einem relativ neu erworbenen Päckchen Schwarzbrot, das unter dem Aufdruck nicht sichtbar völlig verschimmelt war, zu Albrecht Diskount (so hießen die damals noch) ging und zaghaft reklamierte und ihm gesagt wurde, "geben Sie das mir, gehen Sie hintenrein, nehmen sich ein neues und kommen Sie wieder bei mir vorbei". In anderen Läden wäre man damals noch mit Schimpf und Schande aus dem Haus gejagt worden. Will damit sagen, die Reklamationsmöglichkeit und -kultur hat sich in den letzten 40 Jahren völlig verändert. Wir trauen uns inzwischen auch viel kleinere Probleme zu reklamieren als früher, wir verlangen da immer mehr. Es ist ja auch viel einfacher geworden. Mußte man früher einem älteren Herrn, dem MoBa-Händler, unter die Augen treten, der auch mal gesagt hat, daß er unser Problem nicht als Problem sieht - und damit war der Fall dann auch ein für allemal erledigt. Bei dem wollte man sich auch nicht blamieren. Heute in Zeiten des Internets mit 14-tägigem, unbegründeten Rückgaberecht in der Anonymität mit teilweise noch Retourenscheinen hält man ganz andere Hebel der Macht in der Hand als damals. Und zudem war früher die MoBa-Branche fest im Sattel, heute haben wir als Kunden aufgrund des Schrumpfungsprozesses die besseren Karten in der Hand. Zudem sind wir viel mehr "Ich"-bezogen, "mein Recht, mein Geld, und Du machst jetzt, was ich Dir sage, sonst hörst Du von meinem Anwalt". Und wer hatte früher schon eine Rechtsschutzversicherung? Auch das ist ein Kulturwandel. Da ist früher viel mehr miteinander gesprochen und untereinander geregelt worden. Überspitzt, wenn früher jemand in einen nicht abgedeckten Gulli gefallen wäre, hätte es geheißen: "Hans-Guck-in-die-Luft, paß auf". Heute wird eine Baufirma bis in den Ruin geklagt. Und der Absperrungshersteller gleich mit, denn der hat sicherlich auch noch eine rechtliche Verordnung übersehen und einen zwei-mal-zwei Zentimeter großen Aufkleber vergessen.
Wenn früher der Threadersteller an die Öffentlichkeit hätte gehen wollen, hätte er einen Leserbrief an eine MoBa-Zeitschrift schicken müssen. Davon abgesehen, daß dort pro Heft und damit Monat vielleicht nur 10 Briefe veröffentlicht werden konnten, hat ein Redakteur darüber geschaut und sich Gedanken gemacht, ob das alles so in Ordnung geht, ob alles stimmt und ob das von Relevanz ist. Hat er fünf Briefe gleichzeitig zu einem Thema bekommen, dann war die Relevanz schon recht hoch. Manche würden das hier als Zensur bezeichnen, früher war das eine angesehene redaktionelle Arbeit. Und diese hat manches ins rechte Licht gerückt, priorisiert und eingeordnet. Reichweite, ein paar tausend Leser dieser Zeitschrift. Heute ist jeder sein eigener Redakteur und kann behaupten, was er will. Und es finden sich immer ein paar Kollegen, die aus welchen Gründen auch immer die Sache mitbetreiben, egal, ob sie betroffen sind oder aber auch Käufer des Produktes. Den Leserbrief beantworten und ins nächste Heft damit kommen, war eher unwahrscheinlich, war auch alles sehr aufwendig und kostete auch noch. Hier und heute geht es Schlag auf Schlag und das weltweit nachverfolgbar. Und aus so mancher Mücke wird ein Elefant, und da kein Filter in Form z. B. eines Redakteurs den Inhalt prüft, teilweise sogar mit falschen Informationen. So manches Kesseltreiben haben wir hier schon erlebt. Und alle 500 Käufer holen ihr für gut befundenes Wagenset nochmals heraus, schauen noch mal viel genauer hin. Und glaubt mir, 399 finden dann auch wirklich etwas...
Zum Schluß, ich kritisiere hier nicht den TE mit seinem Ansinnen. In der Vergrößerung sieht das ganze nicht schön aus. Die Frage ist, hast Du das auch in natura ohne Hilfsmittel gesehen? Nächste Frage, könntest Du mit Deinem Wissen um die Fehler leben? Ich habe z. B. gerade ein paar neue Wagen von NME erworben. Ein aufgedrucktes Firmenlogo eines Wagens hat einen gelben Punkt mitten in einem großen Buchstaben, den habe ich unter der Lupe gesehen und sehe ihn jetzt auch direkt. An einigen Wagen stehen auch ein paar Griffstangen leicht schief. Ich habe überlegt und kann mit beidem leben. Sind doch gerade Güterwagen beim Vorbild übersät mit Macken, auch Griffstangen habe ich dort, beim Vorbild, schon leicht schief gesehen, sind wahrscheinlich mal hart angerempelt worden. Wenn Du das nicht kannst, würde ich die Wagen zur Korrektur einsenden lassen. Bei Märklin habe ich Arbeitsplätze gesehen, die optische Probleme dieser Art mit Pinsel und Farbe unsichtbar beseitigen. Das wird Roco genauso tun. Gleichzeitig werden sie auf das Problem aufmerksam und können den Fehler suchen. Alternativ, wenn Du damit leben kannst, dennoch ein eMail mit Bildern oder einen Brief an Roco senden und höflich auf das Problem aufmerksam machen.
Alles was ich als Gegensatz zwischen früher und heute geschrieben habe, dient lediglich, um Euch bewußt zu machen, daß früher nicht alles besser war. Es war anders und vieles wird inzwischen verklärt. Alle Modelle waren in Ordnung, alles war nicht so teuer usw. Das stimmt einfach nicht. Ich möchte unsere heutigen Möglichkeiten z. B. hier mit dem Forum nicht missen, ich nutze das alles sehr gerne. Auch die bessere Stellung des Kunden finde ich super wichtig. Aber wir müssen mit den neuen Medien und Möglichkeiten auch lernen, verantwortungsvoll umzugehen. Ist ein Problem wirklich ein Problem und dann auch noch gleich ein Serienproblem? Hier wird häufig maßlos übertrieben. Und man sollte leben, aber auch leben lassen. Diese Härte und "Ich"-Bezogenheit. Erfüllen wir immer all das selbst, was wir von anderen fordern? Das ist kein Schönreden und kein Unterdrücken von Problemen. Ich reklamiere, was ich als fehlerhaft empfinde. Aber manchmal muß man auch einen Schritt zurückgehen und sich fragen, steht das jetzt im Verhältnis zu dem was ich da an Aufwand generiere. Und unsere Ansprüche sollten wir auch einmal dahingehend prüfen, wollen wir das alles wirklich bezahlen? D-Zugwagen kosten doch nicht inzwischen standardmäßig 60 €, weil Herr Sieber jun. oder Herr Dr. Wilfer auf die nächste Yacht sparen. Wenn die Ansprüche im Vordergrund stehen, dann werden wir das bezahlen müssen. Aber dann nicht plötzlich wundern, wenn jemand mit kleinerem Budget aussteigen muß. Denn muß ein Großserienhersteller wirklich Produkte liefern wie Kleinserienhersteller und schaden wir unserem Kollegen mit weniger Budget nicht gewaltig, wenn wir das ständig hier fordern?
Fragt sich Stefan aus BaWü, Euch alle herzlich grüßend.
Übrigens: Früher war nicht alles besser, früher war einfach nur früher.