Um Längen England hinterher (Achtung! Viel Text!)
Hallo Sören!
Vielen Dank für Deine Informationen!
Dann lass' mich versuchen, nochmal zu punkten - wobei ich jetzt brainstormingmäßig vorgehen und bereits einige Dinge von Insel- auf deutsche Konditionen herunterbrechen möchte. Die nächsten zu klärenden Punkte die mir da einfielen wären
Rechtsform
Was klar ist dass jedes Projekt scheitern kann. Dementsprechend muss eine Rechtsform gefunden werden die so strukturiert ist dass sie die Haftung der Aktiven über ihr Privatkapital ausschließt. Wer soviel Zeit und Engagement wie die Leute vom A-1-Trust in ein solches Projekt hineinsteckt soll auch nicht noch befürchten müssen, dass er seines und das Häuschen der Oma dafür aufs Spiel setzt.
Nun sind die Rechtsformen in Deutschland aber völlig andere als in England, von daher deren Organisationskonzepte - leider - nicht 1:1 auf deutsche Verhältnisse übertragbar. Hier müssen Profis 'ran, Juristen, Verwaltungsfachleute. Diesbezüglich dilettiere ich nur. Aber meiner Meinung nach scheidet der Verein als Rechtsform eben auf Grund der unabsehbaren hohen Haftungsrisiken aus. Mir erschiene eine GmbH, gGmbH oder Stiftung sinnvoller.
Finanzierung
1. Der reiche Enthusiast. Der Dietmar Hopp der Eisenbahnszene. Der Typ der sagt, das gönn' ich mir. Holt' mir die Leute zusammen die das machen, ich hab' Lust 05 zu fahren. Jo gut, wenn er hier mitliest kann dieser "Weiße Ritter" sich gerne mal bei mir melden. Ansonsten fällt mir dazu nur ein: Ein Traum, ich sagte es schon...
2. Ein Investor. Da liegt der Haken schon im Namen. Ein Investor investiert eine Summe x in ein Projekt, um nach einer gewissen Zeitspanne eine Summe x plus irgendwas wieder herauszuholen. Ich kann mir kein Einsatzkonzept für eine Dampflokomotive vorstellen das sich rechnet; mir ist nicht ein Verein bekannt der ohne Spendengelder auskäme. Wer wäre so vermessen einem Investor eine Zusage zu machen wonach ein bestimmtes Konzept sich definitiv rechne? Wer sollte das sein? Mir ist nicht einmal ein kommerziell orientierter Ausrichter historischer Eisenbahnreisen bekannt (VSOE und Co lasse ich nicht gelten, die fahren schließlich nicht mit eigenen Loks), jedoch mehr als eine Pleite in diesem Sektor. Halte ich für unrealistisch.
3. Spenden. Jo, dann mal die Spendenbüchse gepackt und los. Die "Einse-Ka"-Enthusiasten haben vorgemacht, wie es gehen kann: Regionale Betriebe am Schopfe des Ehrgeizes packen und vor allen Dingen Materialspenden einsammeln. Zum einen ist das eine Ochsentour ungewissen Ausgangs, zum anderen kann ich mir vorstellen dass so etwas bis zu einer bestimmten Projektdimension - eben einer I K - als Konzept aufgehen mag - darüber aber nicht mehr. Mal ernsthaft: Wäre es denkbar, bayerische Maschinenbaubetriebe dazu zu bringen in Form von Sachspenden eine bayerische Vollbahnlok wieder entstehen zu lassen? Ich bezweifle es. Unabdingbar für dieses Szenario wäre ein genialer Fundraiser, der auch auf der Klaviatur der Öffentlichkeitsarbeit die richtigen Melodien zu spielen weiß.
4. Ein Sponsor. Wer würde da nicht sofort an die Modellbahnindustrie denken? Modellbahnhersteller X bringt ein Exklusivmodell der Baureihe Y auf den Markt in Verbindung mit der Ankündigung, dass diese Baureihe wieder "zum Leben erweckt würde", wenn alle Exemplare dieser Sonderserie über den Tresen gingen. Das könnte ein Mediencoup werden - oder auch nicht. Gehen wir davon aus dass für den Neubau einer Vollbahndampflok na, sagen wir, 7,5Mio € notwendig sind müsste man also 10.000 Modelle verkaufen, wobei bei jedem zum "echten" Verkaufspreis 750€ für den Bau des Originals hinzugezählt werden müssten. Beide Werte halte ich für illusorisch. Zum einen lässt sich bei 10.000Stück die berechtigte Frage aufwerfen ob man angesichts solcher Zahlen noch von einer "limitierten Sonderserie" sprechen könne, und zum anderen - 750€ Zuzahlung zu einer 350€-Lok??? Aktionen wie die Märklins nach dem "Grubenfall" der 01 1066 oder die Roco-Aktion zur Wiederinbetriebnahme der 310 lasse ich mir noch eingehen, aber solche Relationen erscheinen mir unvermittelbar. Außerdem wachsen im Modellbahnsektor auch nicht (mehr) die Bäume in den Himmel. Und: Wer zahlt schafft an. Wer wollte seinem Finanzier widersprechen wenn der plötzlich auf die Idee kommt, die Lok werde für eine ganz spezielle Sonderserie nächstes Jahr pink gestrichen..?
5. Eine Stiftung. In der Tat gibt es in Deutschland sogar einige gut funktionierende Stiftungen in Sachen Eisenbahnhistorie. Auch steuerlich und haftungsrechtlich scheint das Stiftungsmodell sehr interessant zu sein; nicht umsonst hat die Gruppe rund um die "C" sich auch für eine Stiftung als Organisationsform entschieden. Allerdings wirft uns die zentrale Frage wieder zurück auf "Los": Woher kommen die Einlagen? Vielleicht liest ja hier ein Finanzexperte mit, der etwas Aufhellendes zu dem Thema beitragen kann...
Einsatzkonzept
Fern aller Nostalgieduselei unterliegt jedes Einsatzkonzept den Kriterien der Wirtschaftlichkeit. Es ist kaum zielführend wenn ein Verein, der einen Dampflokneubau gestemmt hat, nach der dritten Sonderfahrt insolvent ist. Ebensowenig ist kaum anzunehmen dass irgend jemand ein solches Vorhaben in Angriff nimmt um sich nach der Fertigstellung des Dampfers die Frage zu stellen, was man nun am besten damit mache. Das bedeutet dass jedwedes in diese Richtung gehendes Vorhaben nach zwei Kriterien ausgerichtet sein muss: Wirtschaftlichkeit und Machbarkeit.
Diskutiert man über wirtschaftlichen Dampfbetrieb kommt man am "New Steam" Roger Wallers nicht vorbei. Die Idee ist bestechend: Man vereinbare die betriebswirtschaftlichen und betrieblichen Vorteile der Diesellok mit der Sinnesanmutung einer Dampflokomotive - fertig.
Hinzu kommen betriebliche Anforderungen wie die hohe Infrastrukturabhängigkeit einer Kohledampflok, fehlende Umsetzmöglichkeiten in Endbahnhöfen wegen zurückgebauter Gleistrassen, fehlender Drehscheiben usw., was ja auch hier schon mehrfach thematisiert wurde.
Der ökonomisch-betrieblich optimalst mögliche Dampfzug müsste also mit der bestehenden Infrastruktur der Dieseltraktion auskommen und im Einmann- wie Wendezugbetrieb gefahren werden können. Geschwindigkeitsmäßig kann er problemlos mit den aktuellen Zugverkehren "mitschwimmen"; eigene Behandlungsanlagen sind für ihn genauso unnötig wie besagte Drehscheiben oder Umsetzgleise. Wir haben es also mit einer Art Wendezug mit Dampftriebkopf zu tun - und der soll auch noch historisch aussehen?
Der Witz an der Sache ist, dass die deutschen Dampflokkonstrukteure vor über einem halben Jahrhundert schon einmal vor dem gleichen Problem standen, als sie es mit der aufkommenden Dieseltriebwagenkonkurrenz zu tun bekamen. Für oben genannte Bedingungen gäbe es tatsächlich eine "New Steam"-Lösung - und sie hätte sogar noch ein optisches Vorbild, sähe mithin auch historisch aus. Diese.
Brainstorming heißt, erstmal alles zulassen. Dann sollten wir das auch tun. Stellen wir uns doch einfach einmal einen Henschel-Wegmann-Zug neuer Technologie (HWZ-NT) vor. Im Unterschied zum Original befände sich im Endwagen ein Führerstand, um im Wendezugbetrieb die Lok von dort aus zu steuern. Die Zugmaschine ist für Einmannsteuerung vorgesehen und mit Leichtölfeuerung ausgestattet und kann so an jeder Dieseltanke befüllt werden - Wasser gibts überall. Das Vorheizaggregat für minimale Hochheizzeiten ist in der Lok selbst untergebracht.
Innerlich New Steam auf höchstem ökonomischen (und, nebenbei, bemerkt, ökologischen, siehe hier) Standard steht ein Zug vor uns, der hinsichtlich der optischen, akustischen und olfaktorischen Erwartungshaltung alles erfüllt, was ein Eisenbahnfreund von der Begegnung mit der Legende "Henschel-Wegmann-Zug" erwarten darf. Wie man einen solchen Zug vermarkten könnte, lässt sich wohl nur erahnen. Allein, es sind mal wieder die Investitionskosten. Dass irgendwelche osteuropäischen Waggon-AWs irgend etwas hingedremelt bekommen, was optisch dem Wegmann-Zug zu entsprechen vermag, darüber mache ich mir keine Sorgen. Aber ein Lokneubau bei der DLM dürfte im oberen einstelligen Millionenbereich angesiedelt sein; und mit Wagenzug wird's dann schnell zweistellig (also insgesamt achtstellig...). Und wer kann heute noch 2,30m große Treibräder bauen? Von der 18 201 könnte man vielleicht ein paar Maße und Erfahrungswerte abgreifen, das wär's dann aber auch schon. Überhaupt: Mit Traditionspflege im Mahler'schen Sinne hätte dieses Projekt - nach dem sich jede PR-Agentur wohl die Finger über beide Ellenbogen lecken würde - nichts zu tun. Hier ginge es einzig und allein um ein touristisches Konzept mit Alleinstellungscharakter in einer genau definierten ökonomischen Nische, das nur dann ein Investor auf den Weg brächte wenn er zu dem Ergebnis käme, dass es sich rechnete (Was mir nicht unplausibel erschiene: Eventfahrten zu "Hansesail" und "Rhein in Flammen" einerseits und planmäßige 100mph-Fahrten andererseits - der Zug müsste doch brechend voll mit Engländern sein...! ) . Andererseits würde man damit automatisch das Gegenargument entkräften, wie vielen historisch wertvollen Schienenfahrzeugen mit all dem Geld geholfen werden könne - denn um diese Nische geht es hier nicht.
Bevor ich zu hyperventilieren beginne und Männer in weißen Anzügen mich wieder zurück in meinen Trakt bringen eine ganz andere Idee:
Plan B, ich schrieb es schon: Wenn der Prophet nicht zum Berge kommt, dann muss halt der Berg zum Propheten. Sprich: Die Leute zur Lok. Wir bauen also eine Lok, die (auch zulassungstechnisch, was das Ganze sehr vereinfacht) an eine Strecke A - B gebunden ist aber eine so hohe Anziehungskraft besitzt, dass Menschen (auch in Sonderzügen) von weit her kommen, nur um diese Maschine erleben zu dürfen.
Da muss ich nicht lang überlegen. Loklegende? Streckengebunden? Womöglich noch an eine legendäre Steilstrecke? Mit bestehender Dampflokinfrastruktur an deren unterem Ende und einem Dampflokmuseum als zusätzlichem Anziehungspunkt? Geht's noch idealer? Ich seh' schon die Schlagzeilen vor meinem geistigen Auge: "DDM baut Loklegende nach!" Die Wiedergeburt der 96er, einer "echten", so nah am Original wie irgend möglich, nix "New Steam", sondern Schraube für Schraube feinster bayerischer Maschinenbau, die Lok mehr Weg denn Ziel... *schwelg*
Aber wir teilen das Fell das Bären, lange bevor überhaupt einer in Sicht ist. Lasst uns doch erst einmal über die Jagdgemeinschaft sprechen.
Kommunikation
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http://5at.co.uk/uploads/Articles%20and%...T%20Article.pdf[/url]
Als David Wardale vor zwanzig Jahren gefragt wurde, was er mit 1,7Mio Pfund täte, war dies hier seine Antwort: das 5AT-Projekt, das Wellen bis in die Deutsche Eisenbahnzeitschriftenszene hinein schlug. Es scheiterte, wohingegen mehr als ein Dutzend Nachbauprojekte auf der Insel im Begriff sind zu gelingen. Warum?
Meine persönliche Antwort ist ganz einfach: Eine Dampflok muss alt aussehen. Sie muss Emotionen erwecken, einen Wiedererkennungseffekt haben, Gefühle aus Jugend- und Kindertagen hochkommen lassen. Opa muss vor dem Teil stehen können und zum Enkel sagen: "Ja - mit genau so einer bin ich früher gefahren..." Dabei ist es piepegal ob die Lok vor der Opa steht die echte von damals ist oder aber eine, die Opas Erwartungshaltung an damals zu saturieren vermag. Ob die Nieten echt sind oder auf dem Fabrikschild "Winterthur" anstatt "Henschel" steht, ob das Ding Bunkeröl C oder regenerative Treibstoffe der 2. Generation verfeuert ist Opa wurscht - solange seine sinnlich-rezeptive Erwartungshaltung erfüllt wird. Was will ich mit einer "historischen" Dampflok ohne Wiedererkennungswert?
Freilich: Der Personenkreis der verkleidete 01.10er und 03.10er im Einsatz erlebt hat wird immer kleiner. Wer konnte sich schon 1996 vor die 01 1102 hinstellen mit den Worten, die habe er schonmal verkleidet erlebt? Woher kam dann trotz allem dieser Hype um die Maschine? Die Antwort liegt in den Sehnsüchten all' derer, die jemals mit einer Märklin-3094 oder 3089 gespielt haben. Nichts wäre einfacher zu vermarkten als Loklegenden.
Aber dazu bräuchte es Profis (welche die 01 1102, mit Verlaub, nicht um sich hatte). Profis aus der Schienenreisebranche. Für Bau und Konstruktion bräuchte es Profis aus diesen Bereichen, mit umfangreichen Erfahrungswerten und endlosem Idealismus. Es bedürfte weiterhin juristischer Profis, kaufmännischer Kompetenz, dampfbegeisterten Fundraisern und Kommunikationsprofis die in der Lage wären, diese geballte Kompetenz an einem temporär realen, temporär virtuellen runden Tisch zusammenzubringen. Eine Projektgruppe personell kompetent und gleichzeitig seriös genug aufgestellt sich auch bei Bedarf, mit Verlaub, personell reinigen zu können. Heißt: Macher von Spinnern zu trennen und Möglichmacher von Problemsuchern.
Ein Satz noch, bevor ich meinen mit Seuthe-Rauchöl getränkten Joint austrete. Die Museums- und Touristikbahnszene in Deutschland, vor deren Aktiven ich einfach nur den Hut ziehe, hat in den letzten Jahren bemerkenswertes hervorgebracht. Manches von dem was wir heute erleben dürfen, wäre vor wenigen Jahren noch als völlig illusorisch gesehen oder als "Phantasterei" abgetan worden. Von daher bin ich der Überzeugung, ja, wir sind England um Längen hinterher. Und doch traue ich dieser "Community" absolut zu in überschaubarem Zeitraum Dinge auf die Beine - besser: Räder - zu stellen, die uns heute noch genauso traumtänzerisch erscheinen mögen. Und nun fallt über mich her.
Grüße!
Christian