RE: Wendezug mit Dampf

#1 von Erich Müller , 04.06.2018 10:25

Hallo,

um ein Modell-Thema nicht mit diesen Fragen zu belasten, die nicht das Modell betreffen, sondern den Betrieb beim (damaligen) Vorbild, stelle ich die Frage hier ein.

Zitat von HGD im Beitrag Insider 2018, 2.Modell: BR65

Hallo,
nachdem bei der Mätrix 65 definitiv die Wendezugsteuerleitung und Steckdose nachgebildet werden, möchte ich an dieser Stelle ein paar erklärende Worte zum Thema "dampfgeführte Wendezüge bei der DB" loswerden:

1. Von einigen Versuchen Anfang der 50er Jahre abgesehen, wurden die Dampfloks indirekt gesteuert, d.h. im Steuerwagen (korrekt "Befehlwagen" genannt) hatte der Führer eine Art Maschinentelegraphen (Hagenuk-Gerät oder Fabeg-Gerät) mit denen die Fahrbefehle zur Lok übermittelt wurden. Auf den Führerstand der Lok war das Gegenstück (Empfänger), auf dem der Heizer, der eine "Reglerberechtigung" haben musste, also mindestens Reservelokführer war, die Befehle sehen und quittieren musste. Gebremst wurde mit dem Führerbremsventil im Befehlswagen. Auf der Lok gab es lediglich einen zusätzlichen Druckluftzylinder, mit dem beim Bremsen gleichzeitig der Regler fast ganz geschlossen wurde. Bei den preußischen Loks war diese Konstruktion als "Heizer-Schlag-Gerät" berüchtigt. (Diese Einrichtung gab es später auch an "normalen" Loks, da war der Zylinder an die Indusi gekoppelt). Zusätzlich gab es eine Sprechverbindung.

2. Der Heizer musste bei geschobenem Zug sehr wohl die Strecke beobachten, genauso, wie er es auch bei ziehender Lok machen musste (Lokführer und Heizer mussten nach Vorschrift die Signalstellungen gegenseitig zurufen) . Die Beobachtung war natürlich einfacher, wenn der Heizer von vorneherein auf der richtigen Seite stand. Daher die Empfehlung (nicht Vorschrift!), die Lok mit der Rauchkammer an den Zug zu hängen.

3. Die Steuerung einer Dampflok arbeitet in der Vorzugsrichtung (i.d.R. vorwärts) auch bei Kuhn'scher Schleife gleichmäßiger, und ein geschobener Zug hat einen größeren Fahrtwiderstand als derselbe Zug gezogen. Folglich war es günstig, die "gute" Richtung der Lok mit der "schlechten" Richtung des Zuges zu verbinden.

Ausnahmen von diesem Regelfall waren
a) das Saarland, wo 23er-Wendezüge auf bestimmten Strecken mit Tender voraus geschoben wurden. Der Grund dafür war, dass die Loks an einem Endbahnhof nicht gewendet werden konnten (dunkle Erinnerung an eine Aussage in einem Aufsatz)

b) Hamburg: Hier wurden die 38er am Tender gekuppelt, weil die Loks bei nicht führendem Wannentender einfach ruhiger liefen

Wendezugfähige Dampfloks waren: 23; 38; 65; 66 (obwohl die nie Wendezüge gefahren haben, die Einrichtung hatten sie); 78; und 78.10. Innerhalb der Baureihen wurden die Wendezugeinrichtungen häufig getauscht, so hatten die 65er nie alle gleichzeitig eine Wendezugeinrichtung

Gruß
HGD



Zu 1. Soweit ich das finden konnte, war die Sprechverbindung nicht bei allen Steuersystemen vorhanden.
Zu 2. Der die Strecke beobachtende Heizer, in der Lok siebzig oder hundert Meter hinter dem Steuerwagen (oder Befehlswagen - ich werde hier für beide den Begriff Steuerwagen verwenden), der dem Lokführer im Steuerwagen ein Signal zuruft (das dieser sonst möglicherweise übersehen hätte - nur das ist schließlich der Grund für diese Regel, wie auch für die Anwesenheit eines Beimanns auf Elloks vor Einführung der Indusi) - nun ja. Das scheint mir eher ein frommer Wunsch zu sein als eine Realität. Ab wann wurden die Befehls- und Steuerwagen eigentlich mit Indusi ausgerüstet? Außerdem führt diese Regel dazu, dass bei führender Lok nun der Lokführer auf der "falschen", nämlich in Fahrtrichtung linken Seite steht. Mag das bei Tenderloks nicht sonderlich stören, bei Schlepptenderloks ist die Sicht auf die "richtige", nämlich rechte, Seite und damit auf eventuelle Signale doch deutlich eingeschränkt.
Zu 3. Das höre ich zum ersten Mal. Mein Wissensstand ist bisher, dass die Kuhn'sche Schleife gerade keine Vorzugsrichtung mehr hat, weshalb sie bei Tenderloks zur Regelbauart der Heusinger-Steuerung wurde.

Zu a) Die Begründung kann ich nicht nachvollziehen: Wendezüge werden gerade dort eingesetzt, wo die Lok nicht vom Zug abgehängt wird - also auch nicht gewendet. Die angeführte Begründung kann also richtig sein, wo Nicht-Wendezüge in einer Richtung Tender voraus gezogen werden; bei Wendezügen entbehrt sie der Logik. Ein anderer Grund wird aber gelegentlich genannt: geschoben darf der Zug nur 85 bzw. 90 Kilometer pro Stunde schnell fahren (die Höchstgeschwindigkeit wurde Mitte der 60er erhöht), gezogen von einer 23 Tender voraus ebenfalls nur 85 km/h - aber gezogen Rauchkammer voraus 110 km/h, sofern die Wagen dafür zugelassen sind. Das ermöglicht zumindest in der gezogenen Richtung kürzere Fahrzeiten, wenn die Lok mit dem Tender zum Zug steht.

Ähnlich gilt zu b), dass die 38.10 mit Wannentender rückwärts führend (also Tender als erstes Fahrzeug des Zuges) weniger schnell fahren darf als vorwärts, und ebenfalls als rückwärts, wenn sie nicht führt (sondern schiebt).


Freundliche Grüße
Erich

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Friedrich II. über Fr. Wilhelm I.


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RE: Wendezug mit Dampf

#2 von silz_essen , 04.06.2018 11:19

Hallo zusammen,

zu Punkt 3b):

Die Baureihe 38 mit Wannentender und geschlossenem Führerhaus durfte vorärts (Rauchkammer voran) 100km/h fahren. Rückwärts, wenn der Tender führendes Fahrzeug im Zug ist 80km/h und wenn der Tender NICHT führendes Fahrzeug im Zug ist (also der eigentliche Wendezug geschoben wird) 100km/h.
Ähnliches gilt für den BR23.

Zum Punkt Kuhn'sche Schleife:
Hier empfehle ich mal einen tieferen Blick in den Niederstrasser (ggf. per Fernleihe in der nächsten öffentlichen Bibliothek zu bestellen). Dort wird genau das in aller Feinheit erklärt.

Zu Punkt 1):
Dampfgeführte Wendezüge hatten in aller Regel keine Sprechverbindung zwischen Steuerwagen und Lok. Hier war eine Art Maschinentelegraph das entsprechende Gerät.

Zu Punkt 2):
Natürlich musste der Heizer auch die Strecke beobachten, wenn es seine Arbeit zulies. Das dies von der schiebenden Lok aus nahezu unmöglich war, liegt in der Natur der Sache. Aber wenn er beispielsweise eine Gefahr erkennnen konnte, dann mußte er darauf reagieren auch ohne auf den Befehl vom Lokführer zu warten.

Ansonsten empfehle ich hier auch mal in die Bücher über die BR78 bzw. die BR38.10 aus dem ek-Verlag (wiederum mal per Fernleihe in der nächsten öffentlichen Bibliothek bestellen) zu schauen. Auch dort wird das Thema Wendezüge recht ausführlich behandelt. Des weiteren ist beim Eisenbahn Journal ein entsprechendes Sondreheft erschienen, das sehr lesenswert ist:
Eisenbahn Journal-Exklusiv 1/2015, Wendezüge in Deutschland, ISBN 978-3-89610-395-6

Gruß
Martin


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RE: Wendezug mit Dampf

#3 von HD-Mainz-MoBa , 04.06.2018 13:15

Hallo Erich,
in dem Sonderheft des "Eisenbahnjounals" 01/2015 >>Wendezüge<< ist auch die BR 74 bei der LBE (Lübeck Büchener Eisenbahn) im Wendezugdienst zwischen Lübeck und Hamburg beschrieben; die dort eingesetzten 74er hatten eine Stromlinienverkleidung! Auch die stromlinienverkleidete BR 60, die es nur in 3 Exemplaren gab war wendezugtauglich, und das schon in EP II!

Gruß
Hans-Dieter


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RE: Wendezug mit Dampf

#4 von silz_essen , 04.06.2018 15:58

Hallo zusammen,

in diesem Zusammenhang:
Die erste echt wendezugfähige Dampflok der Reichsbahn der Epoche 2 war (nota bene) eine BR03!

Gruß
Martin


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RE: Wendezug mit Dampf

#5 von Sinerb , 04.06.2018 19:53

Grüß Euch

im Band "Das war die DB 1951 1952"
is beschrieben wie die Loks BR 78 025, 038 ,047
auf der Strecke Frankfurt- Kronberg(Taunus) als
Wendezugloks genutzt wurden.
Zwischen Lok und Steuerwagen waren Wagen der Gruppe 30
als Steuerleitungswagen gekuppelt.
Der Lokführer konnte die Lok auch über den Steuerwagen steuern und
zwar den Dampfregler und die Zugbremse über eine 20 adrige Steuerkabel und Druckluftleitung
die neben der normalen Druckluftleitung unter dem Zug entlang lief (direkte Wendezugsteuerung)
Auf der Lok griff an der Reglerwelle neben dem Reglerhandhebel ein Reglerantriebsmotor der über
Getriebe und Gestänge die Regler öffnete,das Schließen geschah über Druckluft.
auf der lok selbst blieb ein entsprechend Ausgebildeter Heizer als Bedienungsmann.
Kontakt zwischen Lok und Steuerwagen war über eine Klingelsignalanlage möglich.
für Außergewöhnliche Fällen war noch ein Fernsprecher eingebaut.
diese Form des Spitzengesteuerten Wendezug gab es in ähnlicher Form schon vor dem
Krieg bei der Lübek- Büchner Eisenbahn zwischen Hamburg und Lübeck.

Gruß Sinerb


"Eine Regierung muss sparsam sein,weil das Geld, das sie erhält aus dem Blut und Schweiß ihres Volkes stammt."
Friedrich der Große


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RE: Wendezug mit Dampf

#6 von Erich Müller , 11.06.2018 11:45

Hallo Martin (Silz),

zunächst vielen Dank für die Literaturhinweise; Fernleihe ist allerdings für mich keine Option, weil ich nicht in Deutschland wohne - und das einzige Werk von einem Herrn Niederstrasser, das unsere Nationalbibliothek im Zentralregister aller Bibliotheken des Landes gefunden hat, befasst sich mit Zement.


Freundliche Grüße
Erich

„Es hat nie einen Mann gegeben, der für die Behandlung von Einzelheiten so begabt gewesen wäre. Wenn er sich mit den kleinsten Dingen abgab, so tat er das in der Überzeugung, daß ihre Vielheit die großen zuwege bringt.“
Friedrich II. über Fr. Wilhelm I.


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RE: Wendezug mit Dampf

#7 von silz_essen , 11.06.2018 12:48

Hallo Erich,

es handel sich um das Buch "Leitfaden für den Dampflokdienst" von Niederstrasser. Das Buch wurde vor einigen Jahren noch einmal als Reprint aufgelegt. Daher könnte es durchaus auch bei eBay oder ähnlichen auftauchen. Ansosnsten findet man es z.B. im Zentralen Verzeichnis für Antquarische Bücher. SEHR lesenswert.

Gruß
Martin


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