Ein Retarder dient in der Tat nur zum Bremsen. Englisch "to retard" = verzögern. Es ist eine verschleißfreie Zusatzbremse, mit der die Bremsbeläge geschont werden.
Die ersten Bauarten waren elektrisch, die berühmte "TELMA" aus Frankreich, eine Wirbelstrombremse mit 4 festen Stufen. Sie haute rein, daß das Gebälk krachte. Einige Jahre später kamen die hydraulischen Versionen, bei denen ein "Wasserrad" auf der Kardanwelle in Öl herumpanscht und dabei abgebremst wird. Das waren damals alles extra Gehäuse, die zwischen Getriebe und Achse in die Kardanwelle eingeschleift wurden.
Noch später brachte ZF dann den "Intarder" = "integrierter Retarder" heraus, bei dem die Bremsgruppe mit im Getriebegehäuse verbaut ist. Heute ist das längst die Standardbauart bei allen.
Jetzt zum 8x8:
Es ist ein bißchen umgekehrt: Ende der 60er begann die Entwicklung der "KFZ-Folgegeneration" der Bundeswehr, zu der auch die hochgeländegängigen LKW 5t/7t/10t mil gl gehören. Ab Mitte der 70er erfolgte die Auslieferung an die Truppe.
Die LKW dieser Fahrzeugklasse sind Komponentenfahrzeuge: von jedem Hersteller das Beste für den Zweck. MAN war federführend tätig und baute Rahmen und Fahrerhaus, Deutz lieferte die luftgekühlten Motoren, Daimler-Benz die Achsen und ZF Getriebe und Lenkung.
Weil die Amis nix vernünftiges in dieser Art hatten, hängten sie sich da dran und bestellten bei MAN ähnliche Fahrzeuge. Ein wesentlicher Unterschied war der wassergekühlte Motor, deshalb auch das Kühlergitter an der Front. Über die Getriebkonfiguration kann ich nichts sagen.
Als Eigenversuch frickelten sie dann selber ihren komischen Oshkosh, der dem MAN bei weitem kein Wasser reichen kann.
Die Bundeswehr-LKW haben eine sogenannte Wandlerschaltkupplung und 6-Gang-Getriebe. Die WSK besteht aus einem Drehmomentwandler und einer normalen Scheibenkupplung, die LKW haben 3 Pedale. Das 6-Gang-Getriebe ist synchronisiert und wird von Hand mit dem Schaltknüppel bedient.
Der Wandler dient zum Anfahren im schweren Gelände und unter hoher Last, im Krieg ist meist beides der Fall. Außerdem sieht der Fahrer ziemlich alt aus, wenn er ein Loch, z.B. Bombentrichter oder Bach, durchfahren muß - da ist nix mehr mit Runterschalten oder Kupplung schleifen lassen! Statt dessen ein Kickdown, der Wandler wird aktiviert und zerrt die Fuhre durchs Gelände, egal welcher Gang gerade eingelegt ist.
Bei Motordrehzahlen UNTER 1000/min ist der Wandler aktiv, eine rote Anzeigenlampe auf dem Armaturenbrett leuchtet.
Bei Drehzahlen GRÖSSER 1000/min ist die Wandler-Überbrückungskupplung geschlossen, die rote Lampe erloschen.
Die Abläufe sind wie folgt:
1) LKW steht, Federspeicherbremse ist EINGELEGT !
2) Kupplung treten, 1. Gang einlegen, Kupplung GANZ KOMMEN LASSEN - LKW ruckt, Gang ist drin, Kupplung geschlossen - aber Wandler aktiv! (deshalb keine direkte mechanisch-kraftschlüssige Verbindung zur Achse)
3) Federspeicherbremse lösen - LKW rollt sofort an, weil Wandler ja Drehmoment überträgt
4) Gas geben, kuppeln und von Hand wie gewohnt hochschalten - weil ab >1000/min ja die Überbrückungskupplung wirksam ist, der Wandler also überbrückt ist (direkter Durchtrieb vorhanden)
5) während der Fahrt hoch-/runterschalten wie gewohnt
6) zum Anhalten Fahrzeug MIT EINGELEGTEM GANG bis zum Stillstand abbremsen, Federspeicherbremse einlegen, JETZT ERST Kupplung treten und Schaltknüppel in Leerlaufstellung bringen
Daran gewöhnt man sich sehr schnell, und dann fetzt die Kiste einfach nur noch .
Wie schon erwähnt, ist bei unvorhergesehenem hohem Fahrwiderstand jederzeit ein Kickdown möglich, die Wandler-Überbrückungskupplung öffnet, der Drehmomentwandler stellt jetzt Reserven zur Verfügung - der Fahrer ist nicht zum Herunterschalten gezwungen.
Man kann diese Funktion natürlich als Spielkind mißbrauchen und im 6. Gang aus dem Stand heraus auf Tempo 80 bollern - der Deutz heult sich dann zwei Minuten bei Abregeldrehzahl aus. Habe ich damals mit Anfang zwanzig natürlich auch gemacht, Spaß muß schließlich sein. Aber die Dosis ist entscheidend, irgendwann bedankt sich das Getriebeöl auch mal mit Übertemperatur, und dann ist die Sause vorbei.
Fahrberechtigung habe ich für 5t und 7t mil gl. Einmal ergab sich bei einer Materialtransportfahrt die Gelegenheit, wegen des benötigten Ladekrans einen 10t mil gl zu nutzen, und diese Tour wurde selbstredend zur "Einweisungsfahrt" deklariert. Man muß sich schließlich die Trophäe für's Fahrten-/Nachweisheft sichern, von nix kommt ja nix . Das war das reinste Abenteuer; selbst bergab muß man Vollgas geben, damit diese Kiste nicht stehenbleibt. Der Knoten aus 4 Außenplanetenachsen, 5 Kardanwellen und Verteilergetriebe ist so dick, der hat einen dermaßen hohen Fahrwiderstand, dagegen ist das berüchtigte "offene Scheunentor" die reinste Flunder. Weil aber unsere Stammeinheit STAN-mäßig keine Zehntonner besaß, machte das "OKW" die Spaßbremse und einen Strich durch die Rechnung = keine Überprüfungsfahrt, keine Fahrberechtigung. Deshalb fehlt das Dickschiff leider bis heute in meiner "Sammlung" .
Wer ein bißchen dazu lesen will, dem sei das Buch "MAN - Die Allrad-Alleskönner" aus dem Heel-Verlag empfohlen.