RE: Weichen zur Länderbahnzeit und später...

#1 von Atlanta , 23.12.2019 04:41

Moin Kollegen,

ein Thema, was mir bei Planungen ziemliches Kopfzerbrechen bereitet sind die verwendeten Weichen einzelner Bahngesellschaften in der Länderbahnzeit.

Laut Wikipedia wurde eine Vereinheitlichung der Weichenbauarten erst ab 1931 erzielt und in der Länderbahnzeit "friemelten" viele Bahngesellschaften an eigenen Weichenbauarten herum.

In dem Buch "Der Eisenbahnbau" der Ingenieurswissenschaften von 1892 interessierte man sich seitens der LBE - Lübeck Büchener Eisenbahn sehr für "aufschneidbare" Schleppweichen, wie sie auf der Bahnstrecke Berlin - Dresden verbaut waren.

Des weiteren nimmt der Bereich Weichen in diesem Buch seitenweise Abhandlungen über alle möglichen Weichenbauformen und Weichenarten ein und deren praktischen Vorzüge im Vergleich.

Aus Quellen von DB Lehrmaterialien der DB wird als Einleitung nur ein kurzer Satz erwähnt, daß es wohl vermehrt zu Schienenbrüchen bei spitzbefahrenen Zungenweichen auf abzweigenden Ast gegeben haben soll, was in der Zeit von 1878 bis etwa 1898 viele Bahngesellschaften dazu bewog, die veralteten aber robusteren Schleppweichen wieder zu verwenden, bis das Problem behoben war. Leider fehlen hier nachprüfbare Angaben bei welchen Bahngesellschaften diese Schienenbrüche vorkamen.

Anscheinend machten wohl Geschwindigkeiten von mehr als 10 Km/h und die in jener Zeit stetig ansteigenden Fahrzeuggewichte entsprechende Probleme, beim verlegten Gleismaterial jener Zeit.

Das hilft mir aber auch nicht weiter, ob ich nun mit Zungen- oder Schleppweichen die Gleisplanungen durchführen soll?

Einige Bahnhöfe verwendeten das britische Saxby & Farmer Kaskaden Stellwerksystem für Weichen und Signale, so auch der alte Kölner Bahnhof.

Das Saxby & Farmer System wurde 1857 patentiert und ab mitte der 1860er Jahre auch aufs europäische Festland verkauft und von vielen Städten, in deren Bahnhöfen, zur Anwendung gebracht. Es existiert eine digitalisierte Version des Saxby & Farmer Katalogs von 1878, da wird aber die Verwendung von verschließbaren Zungenweichen angegeben.

Leider fehlen auch hierbei Listen, in welchen Städte und Gemeinden dieses Stellwerkssystem Anwendung fand.

In der Geschichte der Stell- und Sicherungstechnik wird auf das gebräuchlichere Jüdel System aber auch Siemens & Halske, AEG und andere Stellwerksysteme verwiesen die um 1890 oder später das Saxby & Farmer System teilweise oder ganz ablösten.

Das beantwortet aber immer noch nicht die Frage, welche Weichenart oder welche Weichenbauart vorrangig genutzt wurde?

Auch Schleppweichen lassen sich von der Ferne stellen und mit Schubstangen im Stellwerk verriegeln. Bei ortsgestellten Schleppweichen gab es Anfangs ein Verriegelungsproblem, das im Laufe der Zeit aber auch gelöst werden konnte.

Dennoch bleibt die Frage weiterhin offen, welche Bahngesellschaft wegen der Schienenbrüche wieder Schleppweichen verwendeten und wie lange und vor Allem wo?

Schleppweichen sind die früheste Bauform von Weichen und waren in der Anfangszeit der Eisenbahnen ziemlich populär, so auch bei der bayerischen Ludwigsbahn 1835 zwischen Nürnberg und Fürth.

Schleppweichen gelten als zungenlose Weichen, wo ein Schleppgleis in die Position der abzweigenden Stränge verschoben wird.

Der Nachteil: --> wird die Weiche stumpf aus einer Richtung befahren, in die sie nicht gestellt ist, führt das unweigerlich zur Entgleisung der Schienenfahrzeuge.

Es gibt zwar mögliche, aufschneidbare Schleppweichen, diese waren aber sehr kompliziert und schon damals sehr teuer.

In späteren Jahren kamen aber auch Zungenweichen zum Einsatz, laut dem Wikipedia Artikel ab 1852 (siehe Link weiter oben).

Bedenkt man nun, daß andere Bahnen ihre Gründung um 1850 und später hatten, wie die Lübeck Büchener Eisenbahn, Eröffnung der ersten Bahnstrecke 1853 nach Büchen, so erscheint die Verwendung von Zungenweichen eher fragwürdig?
Es kann wohl eher davon ausgegangen werden, daß man anfänglich auch Schleppweichen einsetzte.

Die Hamburger Bahn wurde ab 1864 gebaut und 1865 eröffnet eine Zeit, in der Zungenweichen noch nicht so oft verwendet wurden.
Der zweigleisige Ausbau erfolgte von 1873 bis 1875 aber ob damals schon vermehrt Zungenweichen zum Einsatz kamen ist die große Frage, vermutlich ja?

War nun aber auch die LBE von den Schienenbrüchen von spitzbefahrenen Weichen betroffen und wie lösten sie das Problem, sofern es denn bestand?

Ersatzteillisten beantworten meistens Fragen von Sachverhalten, die anderswo selten bis überhaupt nicht erwähnt sind.

Verschleißteile von Weichen und Erstzteile von Fahrzeugen zur Instandsetzung nach Entgleisungen könnten dazu beitragen wie häufig Reperaturen durchgeführt wurden?

Ich muß dahingehend noch Magazin- und Inventarlisten überprüfen, sofern diese noch irgendwo existieren?

Zum Glück meinerseits bin ich der alten deutschen Schreibschrift noch mächtig, diese selber zu schreiben und lesen zu können.

Vieleicht weiß ja jemand von euch etwas zu diesen Themen beizutragen?


LG Ingo

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RE: Weichen zur Länderbahnzeit und später...

#2 von Bügeleisenmann , 10.01.2020 19:37

Guten Tag, der Herr!

Brauchbare Informationen dazu sind schwer zu finden. Ich erinnere mich aber, daß in der Bibliothek des Museums für Verkehr und Technik am Anhalter Bahnhof in Berlin endlos Literatur durchzusehen ist.
"Heusingers Organ für die Fortschritte im Eisenbahnwesen" ist seit sen 60er Jahren (1860) archiviert und dort findest du Artikel über solche Neuerungen wie Zungenweichen.
Auch in den Amtsblättern der Direktionen wurde die Einführung von technischen Änderungen angekündigt.
Man kann auch online suchen.

https://technikmuseum.berlin/sammlung/bibliothek/

Andreas


 
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RE: Weichen zur Länderbahnzeit und später...

#3 von Frank Schönow , 10.01.2020 21:18

Hallo,

in den mir vorliegenden Eisenbahnbüchern zeigen alle Fotos ab ca 1860 nur noch Zungenweichen.


Gruß Frank


 
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RE: Weichen zur Länderbahnzeit und später...

#4 von Atlanta , 12.01.2020 03:38

Moin Frank,

Ich bestreite ja den Einsatz von Zungenweichen auch nicht, möchte aber gerne die Aussage überprüfen bezüglich von Materialproblemen von Zungenweichen zwischen etwa 1878 und 1898, wo wohl vermehrt zu Schienenbrüchen bei spitzbefahrenen Weichen im abzweigenden Ast, gekommen sein soll und in Folge dessen sich einige Bahngesellschaften dazu veranlaßt sahen, die alten, robusteren Schleppweichen als Ersatz zu verwenden, bis von der herstellenden Industrie, brauchbarere Zungenweichen zur Verfügung standen.

Spekulationen helfen mir nicht weiter aber Vermutungen an Hand von Indizien gibt es reichlich.

Dieses Problem kam wohl durch höhere Lokgewichte jener Zeit auf, für die das verlegte Gleismaterial nicht ausgelegt war?

Angeblich sollen Schienenbrüche nur aufgetreten sein, wenn Weichen im abzweigenden Ast mit höheren Geschwindigkeiten über 10 Km/h befahren wurden?

Wo dieses auftrat und welche der Bahngesellschaften davon betroffen waren, wurde nicht genannt, interessant ist aber die Quelle dieser Aussage, nämlich DB Lehrmaterial vergangener Zeiten.

Befaßt man sich mit den Bauarten von Zungenweichen und Schleppweichen wird es spannend.

Das Arretieren von Weichen war früher auch ein Problem, bei Zungenweichen hat sich das Hakenschloß bewährt aber bei Schleppweichen wird die Arretierung über den Stellhebel des Schleppgleises bzw. Schubstangen vom Stellwerk erreicht. Als besonders sicher galt diese Methode nie, weswegen auch die Entscheidung zu Gunsten der Zungenweichen ausfiel.

Man muß aber auch besonderes Augenmerk auf Stellwerksysteme lenken, die zu jener Zeit so im Einsatz waren, die uns heutzutage bekannten mechanischen Stellwerke lösten Vorgängerversionen ab und um gerade diese Vorgängerversionen geht es.

Welches System wurde wo verwendet?
Warum ausgerechnet ein bestimmtes und kein anderes Stellwerksystem?

Saxby & Farmer ließen sich ihr System 1857 patentieren, verkauften ihre Stellwerke aber auch auf das kontinentale, europäische Festland, auch an Eisenbahngeschaften im spätere deutschen Reich.

Gab es zu dieser Zeit noch andere namhafte Stellwerksystem?

Es wird vielfach in den Blättern der Eisenbahn Commission von französischen Stellwerksystemen gesprochen, die wohl um 1860 bis 1870 ziemlich populär waren, bloß um welche Systeme handelt es sich hierbei und wo waren sie eingesetzt worden?


LG Ingo

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RE: Weichen zur Länderbahnzeit und später...

#5 von rayman , 01.03.2020 09:47

Moin Ingo!
Du suchst doch bestimmt noch was zum Thema Schleppweichen... Vor ein paar Tagen wurde die East Broad Top, die letzte kommerziell genutzte Güter- Schmalspurbahn der USA verkauft. Sie soll aus Touristenbahn wieder auferstehen. Bei dieser Bahn sind noch Schleppweichen im Gebrauch.
https://www.railpictures.net/photo/725595/


Grüße Ray.
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