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Der Fluch der Akribik, Teil 146
HOLS DIE PEST – EIN BANANENWAGEN
Auf meiner Nebenstrecke sind keine vierachsigen Reisezugwagen vorgesehen. Standardmäßig sollen aber vierachsige Güterwagen eingesetzt werden können. Dafür sind im Zuge der weiteren Gleisverlegung wieder Tests notwendig. Es bietet sich an, einen Roco SS 15 zu ergänzen, den ich vor vielen Jahren schon etwas zugerüstet und gealtert habe, und einen neuen Brawa SSl 44 herzurichten, da dieser noch etwas länger ist.
Der Roco-Wagen konnte rasch wieder aufs Gleis gestellt werden. Er erhielt lediglich noch Lösezüge und eine mittels Messingdraht bis unter die Drehgestelle verlängerte Bremsleitung. Weiters wurden die 1955 in Österreich schon recht selten gewordenen Signalhalter abgetrennt.
Gottlob nur beinahe.
Denn mir fiel, als ich das Messer ansetzte, gerade noch rechtzeitig auf, dass nicht „ÖBB“ auf dem Wagen stand, sondern „DB“. „Bua, des woa knop!“, hätte der Toni gesagt [Junge, das war knapp!].
Schließlich spendierte ich dem Fahrzeug noch eine Weinert-Handbremse. Nicht ohne Schwierigkeiten, denn es „gelang“ mir, das Geländer der mit den Jahren schon etwas spröde gewordenen Bremserbühne zu beschädigen. Dies zog eine entsprechend umständliche Reparatur nach sich.
Wie ich jetzt auf dem Foto sehe, ist die Reparatur des Geländers nicht zufriedenstellend geglückt. Der Wagen kommt noch einmal kurz in die Werkstätte.
Auf den Austausch der Rungen gegen Messinggussteile, wie in Hp1, Heft 18, gezeigt, verzichtete ich. Die originalen Kunststoffrungen sind ausgezeichnet detailliert und ich bezweifle, dass man mit unbewaffnetem Auge einen merklichen Unterschied wahrnehmen würde. Auch die Roco-Drehgestelle behielt ich bei, da diese Drehgestelle nach Blatt Ci 149 vermutlich am häufigsten verwendet wurden.
Der Brawa-Wagen ist perfekt detailliert. Selbst die Lösezüge sind nachgebildet. Für den Einsatz auf meiner Anlage benötigt er lediglich Federpuffer, Druckluftschläuche, Originalkupplungen und RP25/88-Räder.
Puristen (oder handelt es sich vielmehr um gedungene Schergen missgünstiger Mitbewerber?) beklagten gelegentlich in Modellbahn-Foren, dass die Bremsleitungen dieses Wagens nur rudimentär ausgebildet seien. Ich hingegen wundere mich, was man bei diesem Wagen alles an Details zwischen die Langträger gebaut hat – denn nichts davon kann man sehen, wenn der Wagen nicht vom Gleis genommen wird:
Allerdings sah der Wagen nach dem Auspacken unter der Lupe etwas verbogen aus. Da meine Lupenleuchte ein wenig verzerrt, stelle ich das Fahrzeug, um sicher zu gehen, hochkant auf eine gerade Linie meiner Schneidunterlage. Tatsächlich: Der Wagen ist, so wie er aus der Verpackung kam, mittig um ca. 3 Millimeter nach oben gewölbt. Zinkpest wie weiland bei Klein Modellbahn??????
PAAANIIIIIK!!!!!!
Meine Nervosität steigt weiter, als ich im Internet mehrere Berichte über bananenartig verbogene Wagen finde.
Der Wagenboden bzw. die Bohlen des Brawa-SSl sind laut Beschreibung auf der Verpackung tatsächlich aus Zinkdruckguss. Dieses Gussstück ist mit je zwei winzigen Schrauben unter den Drehgestellen angeschraubt:
Die Drehgestelle sind nur angeklipst. Also: Drehgestelle abziehen, Schrauben raus, Metallbohlen abnehmen und aufatmen: Das Metallteil ist auch an der Unterseite lackiert und nirgends zeigen sich an der Lackoberfläche irgendwelche typische Lack-Risse. Es ist ganz einfach nur ein wenig verbogen. Einfach so. Ich biege das Gussteil vorsichtig in mehreren Schritten gerade, setze es wieder ein und schraube es wieder fest. Auch die Tatsache, dass ich das Teil problemlos gerade biegen kann, beruhigt mich. Zinkpest müsste das Material doch eigentlich spröde werden lassen?
Jemand hat mir einmal sinngemäß gesagt, Zinkdruckguss tendiere unter bestimmten Bedingungen generell zur Formänderung, da müsse noch gar keine „Zinkpest“ vorliegen. Die Struktur von Zinkdruckguss versuche bei Temperaturschwankungen, in ihre ursprüngliche Form zurückzukehren. Das sei ein wenig vergleichbar mit dem Verhalten von tiefgezogenen Kunststoffen bei starker Erwärmung.
Eine Woche später ist der Wagen neuerlich um etwa einen Millimeter verbogen (rechts auf dem Foto erkennbar):
Der Wagen ist ein zweites Mal schnell gerade gebogen. Er wird aber von nun an in Intervallen regelmäßig zu überprüfen sein.
Das Fahrzeug gefällt mir dennoch außerordentlich gut. Wenn der Wagenboden sich im Laufe der Zeit irreparabel verziehen sollte, werde ich dem Wagen ganz einfach einen solchen aus Messing spendieren, Echtholz-Bohlen aufkleben und, wenn nötig, etwas Ballast an von außen nicht sichtbarer Stelle zwischen die Fischbauchträger einkleben. Alternativ kann man das Gefährt mit entsprechend schwerem Ladegut belasten.
Und ja, ich würde diesen „Bananenwagen“ wieder kaufen - weil es mir wichtig ist, dass solche Fahrzeuge in solch prächtiger Detaillierung überhaupt produziert werden.
Abschließend setze ich noch die Rungen ein. Prompt drücke ich anfangs zu heftig und reiße zwei Bolzen ab, die ich anschließend durch 0,3mm Draht ersetze:
Modellbahn ist kein Hobby für Weicheier. Wer lautstark perfekte Detaillierung fordert, muss auch die Konsequenzen tragen.
Zwei weitere Wagen sind somit in den endgültigen Fuhrpark eingegliedert und werden demnächst farblich nachbehandelt.
Naja, nach der eingangs erwähnten kleinen Reparatur halt.
Liebe Grüße
Euer Karl