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Der Fluch der Akribik, Teil 221
IRRER HALS- UND PO-ABSCHNEIDER
Die Mitzi war außer sich: „Die Schendamarie tuat nix!!! De vahoftn den wohnsinnign Vabreha nit!!! Wo sogoa schon die Bea gsog hot, des is a Irra!!! Der schneidat in olle, de wos mitn Zug noch Sonkt Veit eine foan woll, den Hintan ob!!!“ „Do sulltast di a bei ihm möldn“, bemerkte der Toni trocken. „Dei Tisara is eh a vül z’groß!“
[Die Polizei schreitet nicht ein!!! Sie verhaften diesen völlig verrückt gewordenen Verbrecher nicht!!! Wo doch sogar die Bea schon gesagt hat, er sei ein Irrer!!! Er schneidet allen, die mit dem Zug nach St. Veit wollen, das Hinterteil ab!!! – Du solltest dich unbedingt auch bei ihm anmelden. Dein deutlich überproportioniert wirkendes Gesäß verträgt ebenfalls eine angemessene Reduktion!]
Nun, die Panik der Mitzi entbehrte nicht einer gewissen Berechtigung. Tatsächlich habe ich sämtliche Figuren, die ich für den Görtschitztal-Express ausgewählt hatte, gesäßwärts „tiefergelegt“. Fast allen konnten etwa 0,5 Millimeter im Gesäßbereich abgeschnitten werden, ohne dass dies später von außen auffallen wird. Und, ich gestehe, einigen habe ich gleich auch das Genick gebrochen. Wenn nämlich die Köpfe so stark nach oben gerichtet waren, als wollte die Figur auf der Fahrt von Hüttenberg nach St. Veit – also rund eineinhalb Stunden – unentwegt in die Wagenbeleuchtung starren. Zudem verlangten die tiefergelegten Sitzbänke Kürzungen im Bereich der Beine.
Manche Figuren waren noch fertig zusammenzusetzen. Es waren Arme und Köpfe anzukleben, manche erhielten Zeitungen oder Gepäckstücke. Anschließend wurden sie probeweise den Wagen zugeordnet, denn innerhalb eines Wagens sollten Figuren nicht mehrfach vorkommen. Zwischen 30 und 36 Figuren pro Wagen sind es, insgesamt exakt 140 Stück.
Den Kindern widme ich besonderes Augenmerk zu. Ob man zum Arzt fuhr oder einen Familienausflug unternahm – es waren damals immer deutlich mehr Kinder in den Zügen als heutzutage. Ich fand in meinen Preiser-Packungen leider nur 8 geeignete sitzende Kinder-Figuren. Es könnten ein paar mehr sein.
Die Preiser-Packung 16328 enthält zahlreiche Männer mit Hüten. Hüte entsprachen, wie schon früher in diesem Thread erwähnt, bei uns in geschlossenen Räumen nicht den guten Sitten. Das galt auch für Eisenbahnwagen. Ein No-Go, würde man heute sagen. Nicht wenige Herren-Figuren habe ich auf Grund ihrer Hüte ausgeschieden, viele weitere, weil sie eine seltsame Körperhaltung einnahmen, unpassend modernes Gewand trugen oder unpassende Gegenstände hielten. Bierkrüge zum Beispiel. Wer nahm schon Bierkrüge mit auf Reisen…
Manche Figuren konnten mit geringem Aufwand zurechtgeschnitzt werden. Diesem Herrn hier habe ich – nebst Gussgraten und zu langen Beinen – das für Ende der 60er Jahre zweifellos passende, für Anfang der 50er Jahre aber völlig unmögliche Nackenhaar mit ein paar schnellen Messerschnitten gekürzt:
Links: vorher, rechts: nachher. – Ich überlege bei mir, ob das eine erfolgversprechende Geschäftsidee wäre: vielleicht sollte ich einen Polystyrol-Barbier-Salon eröffnen?
Auch massive Proteste von Mitreisenden führten zu Änderungen an Figuren. „Ausse aussn Zug, oba sofuat!!!“, kreischte die Mitzi, als ihr gewahr wurde, dass der Herr gegenüber offensichtlich Anstalten machte, sich die ganze lange Fahrt am Nacken zu kratzen. „Der hot jo Leis!!!“ [Würden Sie bitte den Zug unverzüglich verlassen. – Der hat ja Läuse!]
Also habe ich dem Läuse-geplagten Mitreisenden den rechten Arm abgeschnitten und ihm einen anderen aus der Bastelkiste angeklebt:
Das Foto links zeigt die Figur vorher (der neue Arm liegt schon bereit), das Foto rechts zeigt den Herrn nachher – mit wesentlich entspannterer Haltung.
Na also. Wenn es bloß immer so leicht wäre, Läuse loszuwerden…
Zu wenig Kinder im Zug? Da fand ich schließlich noch dieses bereits bemalte hübsche Mädchen hier:
Sie heiße Mariechen, hat sie mir gesagt. Mariechen hielt ursprünglich den Arm weit nach oben, aber in dem Waggon fand sich in Kopfhöhe kein Siemens-Luftdübel, an welchem sich ein sitzendes Kind anhalten könnte, also habe ich den Arm abgeschnitten und in etwas weniger verkrampfter Pose wieder angeklebt.
Und Hosen? Hosen begannen sich an jungen Damen tatsächlich bereits in den 50er Jahre bemerkbar zu machen, wie einzelne Abbildungen in Modejournalen belegen. Konservative extraurbane Meinungsbildnerinnen der Marke „das schickt sich nicht“ sprachen sich allerdings noch recht deutlich dagegen aus: „Wo käme man da hin, wenn sich die Weiber aufführten wie Mannsbilder…!“ Dennoch mögen Hosen auch auf dem Land bei Mädchen ausnahmsweise vorgekommen sein. Wenn man zum Beispiel auswärts beim Herumtoben in den Bach fiel und sich keine andere trockene Kleidung fand als eine Reservehose des großen Bruders. Aber das kam nicht wirklich oft vor und außerdem hätte sich in einem solchen Fall das arme Ding bis nach Hause zu Tode geschämt.
Wie auch immer, für Mariechen musste auf jeden Fall ein Rock her, der mit Hilfe von etwas Acrylfarbe recht schnell zurechtgespachtelt war. Anschließend wurde der brutale Rot-Grün-Kontrast entschärft. Mariechen wurde zur Gänze neu eingefärbt:
Na also, die Zöpfe kommen nun ebenfalls besser zur Geltung. Nur die Farbklumpen auf Beinen und Rock werde ich noch ein wenig abschleifen.
Auch die anderen zurechtgeschnitzten Figuren wurden nochmals kontrolliert, dann konnte es auch bei ihnen ans Bemalen gehen. Dazu nächste Woche mehr.
Euch allen ein schönes Osterfest!
Euer Karl
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