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Der Fluch der Akribik, Teil 225
ALLERLEI BRAUNES GEDANKENGUT
Wilhelm fährt mit Erna nach St. Veit. Erna trägt einen Staubmantel und eine sorgfältig ausgewählte braune Handtasche, die gut zu ihrer hellbraunen Kleidung passt.
Das war nicht immer so. Ihre alte Handtasche, die sie ursprünglich von Preiser mitbekommen hatte, war schwarz. Das mag heutzutage kein Problem sein, aber damals galt eine solche unmögliche Kombination von Schwarz und Braun als ordinär. Das war auch bei der Herrenmode nicht anders: wer beispielsweise einen braunen Gürtel trug und ein Minimum an Benehmen hatte, zog keinesfalls schwarze Schuhe an, sondern braune.
Wilhelm trägt ein schmales Oberlippenbärtchen, wie es schon – ja der auch, aber den meine ich nicht – Friedrich I. von Preußen im 17. Jahrhundert trug, wie es in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts wieder modern war, und wie es bis weit in die 70er Jahre noch häufig angetroffen werden konnte. Wer also noch nach dem Zweiten Weltkrieg so ein Bärtchen trug, musste nicht notwendigerweise ein ewig gestriger Nationalsozialist sein. Ein bekannter, politisch garantiert unverdächtiger Träger eines solchen Bartes war beispielsweise der „Vater“ des österreichischen Staatsvertrages, Leopold Figl.
Unter den Nasen einer Auswahl von maskulinen Modell-Figuren eines historisch relevant gestalteten Layouts der Epoche III sind solche Bärtchen ein „Must have“ und mit ein wenig Übung schnell aufgetupft.
Frieda und Kati fahren zum Notar. Das ist nichts Besonderes, werdet Ihr sagen. Naja, das träfe natürlich zu, wenn Kati nicht blind wäre:
Wo in den 50er und 60er Jahren viele Menschen zusammentrafen, waren immer auch Blinde dabei. So manche heute als Routine geltende Operationstechnik gab es damals noch nicht. Und es gab viele Kriegsblinde. Es war üblich, dass Blinde Blindenschleifen trugen: eine gelbe Oberarmbinde mit drei schwarzen Punkten – zwei oben, einer unten. (Das sollte man nicht verwechseln, denn zwei Punkte unten, einen oben gab es auch – diese Anordnung war gehörlosen Menschen zugedacht.)
Kati bekam also eine Blindenschleife. Die drei schwarzen Punkte habe ich wieder mit dem Ölgeber aufgetupft. Unter erheblich erschwerten Bedingungen übrigens, weil ich zuvor einem verlockenden Espresso nicht widerstehen konnte und entsprechend heftig zitterte. Aber ich schaffte es immerhin, punktgenau ins Ziel zu zittern. Und wo bleibt der Blindenstock? Nun, einen Stock hat Kati diesmal nicht mit, weil sie sowieso von Frieda begleitet wird.
Lisi hat ihren Arm etwas eigenartig angewinkelt. Vielleicht sollte sie sich nach dem Willen ihrer Erfinder an eine Armlehne anlehnen? Aber Armlehnen gibt es in meiner Holzklasse nicht. Was tun? „Lanst di holt af mi aufe“ (Lehnst dich halt an mich an), sagte Rudi, ihr Verlobter:
Junge Damen, die auf sich hielten, hatten damals grundsätzlich keinen Freund, sondern immer einen Verlobten. Ordnung muss sein. Und ob Lisis ungewöhnliche Frisur in die 50er Jahre passt? Nun, in diesem Fall ausnahmsweise ja. Weil das nämlich keine Frisur im eigentlichen Sinne ist. Lisi hat nämlich extrem üppiges Haar und sie schneidet es sich selbst. Auch Rudis Kleidung ist ein wenig ungewöhnlich. Der Rudi trägt eine graue Hose und - trotz der Sommerhitze - eine graue Krawatte. Vielleicht arbeitet er beim Zoll?
Langsam, aber stetig hat sich der erste Wagen gefüllt:
In den 50er Jahren hatte man noch richtig vieeeel Geduld. Den Leuten im Wagen ist völlig klar, dass sie noch einige Wochen warten müssen, bis der Zug abfährt. Dennoch bricht darob kein Murren aus.
Nur wenige Plätze sind noch frei. Der Franz beispielsweise ist recht korpulent, er braucht eine Bank für sich alleine. Nein, der McDonalds ist nicht schuld an seinem Übergewicht, einen McDonalds gab es damals in Kärnten noch nicht. Vielleicht dass der Franz an einer Erkrankung der Schilddrüse litt, aber das konnte man damals noch nicht so genau feststellen.
Der Robert sitzt auch allein, denn der Robert riecht etwas streng. Er arbeitet nämlich in einer Gerberei in Klagenfurt. Er hat seine Tante in Mösel besucht und dafür extra ein frisches Hemd angezogen, aber so sehr sich das frische Hemd auch anstrengt, gegen Roberts Gerberei-Geruch kommt es einfach nicht an.
Und dann ist da noch das Abteil vor der Toilette. Das Abteil vor dem Abort erfreute sich keiner großen Beliebtheit und wurde oft erst dann in Anspruch genommen, wenn sonst keine Plätze mehr frei waren. Heute sitzt Elviradieschlampe ganz alleine dort:
Vielleicht, weil sie ihre Ruhe haben möchte. Elviradieschlampe hat nämlich einen stinkreichen Freund in Klagenfurt, sagt Mitzi. Einen verheirateten Zahnarzt, sagt die Mitzi. Die arme Ehefrau, sagt die Mitzi. Und außerdem, wie kann man nur so ein schamloses Kleid tragen, sagt die Mitzi, da schaun ja schon fast die Brustwarzen raus. Dieser Fetzen ist ja wieder einmal typisch für Elviradieschlampe!
Aber vielleicht ist Mitzi bloß neidisch auf dieses hautenge, ärmellose, lichtgrüne Kleid mit zeitgenössischem Ermel-Blumenmuster und auf Elviras topmodische toupierte Frisur…? Um Mitte der 50er Jahre auf dem Lande so ein Kleid zu tragen, brauchte man zweifellos nicht nur etwas Mut, sondern auch eine makellose Figur. Mitzis Figur war zwar selbstverständlich auch makellos, aber halt anders. Und Mitzis Haar war weder lang genug noch dicht genug, als dass das Toupieren ihrer Haare ein so prächtiges Ergebnis gezeitigt hätte…
Hätte mein Freund Donald Mitzi und Elvira gekannt, hätte er wahrscheinlich sofort getwittert:
Donald J. Trump @realDonaldTrump
I should have fired Mitzi immediately. Just more Fake News from a jealous witch. BAD! Elvira is a truely good girl MAKING AMERICAS BOOBS GREAT AGAIN! We are with you Elvira!
Liebe Grüße
Euer Karl