Hallo Reinout,
ich bin mir nicht sicher, ob ich auch noch meinen Senf zur guten alten Zeit geben soll, aber das Thema scheint dich ja durchaus zu interessieren.
In meiner Jugend gab es diesen Begriff auch schon, damals war damit etwas diffus das 19. Jahrhundert gemeint. Eine Zeit, in der Bürgerhaushalte Dienstboten beschäftigten, beginnend mit dem Biedermeier, bürgerliche Revolution 1848 und beginnende Mechanisierung und Industrialisierung. Das war eine Zeit mit weit verbreiteter Armut, Kinderarbeit etc. und großen Einkommensunterschieden. Die Wochenarbeitszeit fiel in diesem Jahrhundert von ca. 80 auf 60 Stunden. Gute alte Zeit?
Als Schulkind ab 1956 habe ich persönlich auch in einer guten Zeit gelebt, in einem Arzthaushalt mit Hausangestellter. Die Wirtschaft boomte ununterbrochen seit der Währungsreform, wir konnten 1957 als Familie gemeinsam 4 Wochen Urlaub am Tegernsee machen, (übrigens zusammen mit unseren niederländischen - wir sagten natürlich: holländischen - Verwandten aus Baarn, die das Quartier schon aus den Jahren davor kannten) 1960 wurde das erste Auto (190 D, 2(!) Jahre (!) Lieferfrist) angeschafft, nachdem ich 1959 meine elektrische Eisenbahn bekommen hatte. Bis zur ersten Wirtschafts- und Bergbaukrise (ca. 1966/7) herrschte dann in der Bundesrepublik Vollbeschäftigung mit Arbeitslosenzahlen zwischen 100 000 und 200 000. Ich würde das nicht auf die gleichzeitig hohe Zahl von Verkehrstoten (14 400 in 1960; 19 400 in 1970) zurückführen.
Andererseits: Meine Großeltern (Großvater DB-Pensionär) in Kaldenkirchen hatten in ihrer Beamtenwohnung nur kaltes Wasser, warmes Wasser wurde auf dem Kohlenherd in der Küche zum Waschen erwärmt. Die Toilette war in einem unbeheizten Anbau, immerhin musste man nicht nach draußen. Die Großeltern waren's zufrieden und ich fand das höchstens etwas umständlich. Später wurde mit Gas gekocht und auch ein Gasdurchlauferhitzer auf eigene Kosten installiert.
Ich hatte in der Volks-(=Grund)schule Klassenkameraden, insbesondere Flüchtlingskinder aus dem Osten Deutschlands, denen man ihrer Kleidung ansah, dass die Eltern kein Geld hatten, die mit 6 Familien in einem Haus mit 3 Wohnungen lebten. Lehrer schlugen ihre Schüler, wenn sie diese für faul oder unaufmerksam hielten, ich hatte mit unserem Fräulein Lehrerin ein gutes Los gezogen. St. Martin stand eine große 52 mit Kreide auf der Tafel: die Anzahl der Martinstüten, die an 52(!) Erstklässler verteilt wurden. Wir waren wohl die erste Klasse unseres Fräuleins. Die Lehrerinnen waren damals wegen des Lehrerinnenzölibats alle Fräuleins. Das Bundesarbeitsgericht hob die Zölibatsklausel mit Urteil vom 10. Mai 1957 auf, sie war seit 1951 auch schon aufgeweicht worden. Und arbeiten durften Frauen natürlich nur mit Zustimmung des Haushaltungsvorstandes. Unsere Gymnasiallehrer waren ein Kapitel für sich: die älteren waren im Krieg Wehrmachtssoldaten gewesen, und Pädagogik wurde manchmal durch Verhalten ersetzt, was man heute Mobbing nennen würde. Ach ja, Urlaub für Normalsterbliche gab es so 2 - 3 Wochen und Samstag war normaler Arbeitstag.
Genug von der "guten" alten Zeit, denn eine Modellbahn-Fahrzeugsammlung, wie sie die meisten Stummis heute ihr eigen nennen, war bis in die 60er-Jahre wohl kaum vorstellbar. Die Lebenserwartung ist durch bessere Ernährung, Gesundheitsvorsorge und Arbeitsplatzbedingungen kontinuierlich gestiegen. Nur, der Optimismus, dass es unseren Kindern viel besser gehen wird als uns, den teile ich auch nicht mehr.
Um nicht ganz t: zu bleiben, noch etwas zum Personal der Bahnhöfe:
Da gibt es ja immer wieder schöne Bilder, so auch das vom ehemaligen Bahnhof Waldniel (S. 14) zwischen Dülken und Brüggen. Der zugehörige Bahnhofsgleisplan ist auf S. 11. "Gute alte Zeit" findest du in dem Link übrigens ebenfalls. Ich glaube auch, dass die abgebildete Belegschaft mehr als 50 % des damaligen Personals darstellt.
Deine Bahnhofsbasteleien verfolge ich natürlich auch. Stehen doch auf meinem nächsten Segment, welches ich gestalten will, Bahnhofsgebäude und Güterschuppen.
Gruß von Ruhr und Nette
Hans