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Der Fluch der Akribik, Teil 263
KARL DER SCHWERVERBRECHER
„Da Koal is in Tschumpus!“ Die Mitzi wirkte ob meines Unglücks regelrecht begeistert. „Hoffntlich koltnsn urntlich long drin, den Vabreha!“
[Der Karl ist im Gefängnis! Hoffentlich behalten sie diesen Verbrecher recht lange drin!]
Nun, was mir vorgeworfen wird?
Ich werde beschuldigt, Modellbahnlokomotiven an einem Laptop-Netzteil zu betreiben. Und ich kann mich absolut nicht herausreden – es ist nämlich dieses Beweisfotos in die Hände der Justizbehörden gelangt:
Es handelte sich meiner Meinung nach um eine völlig harmlose Sache - ein Laptop mit Laptop-Netzteil, LokProgrammer-Software von ESU auf dem Laptop installiert, LokProgrammer an der USB-Schnittstelle, Verbindung zu einem Programmiergleis, und eine Lok drauf, die man mit dem Laptop in Bewegung setzen kann. Der LokProgrammer wird über ein kleines Steckernetzteil mit Energie versorgt. Alle Geräte entsprechen den einschlägigen Vorschriften und Herstellerempfehlungen. Eine heutzutage ganz normale Kombination, möchte man meinen.
Mit Neffen und mit Nichten. Der Staatsanwalt hat sich gebärdet wie der Generalinquisitor und hat mir Screenshots vorgehalten: „Glasklares Zuwiderhandeln gegen die Normen der selbsternannten Experten in einschlägigen Modellbahnforen! Sie sind des Verbrechens überführt, trotz mehrerer Warnungen widerrechtlich ein Laptop-Netzteil für den Betrieb einer Spielzeugeisenbahn verwendet zu haben!“, dröhnte er empört. „Sie bleiben bis auf weiteres in Untersuchungshaft!“
Na gut, ich gebe ja zu, dass ich auf der Suche nach einem geeigneten Netzteil für meine Servo-Decoder irgendwo in einem Forum folgende Belehrungen erhalten hatte:
Zitat
Das (Name des Gerätes entfernt) hat auf einer Modellbahn nichts zu suchen. Es hat keine Zulassung für Spielzeug (… Also Finger weg und ein geeignetes, für Spielzeug zugelassenes, SNT (Schaltnetzteil) verwenden.
Oder:
Zitat
…wie von N. and mir bereits angegeben, kannst du machen, was du möchtest, nur verbreite es bitte nicht hier im Forum, da ein solcher Trafo vermutlich keine Zulassung für Spielzeug hat - dafür gibt es ein spezielles Symbol seitens des VDE und das betrifft z.B. die Kurzschluss-Charakteristik
Naja, wenn das so ist, dass eine Modelleisenbahn ausnahmslos immer ein Spielzeug zu sein hat, dann habe ich natürlich ein massives juristisches Problem. Laptop-Netzteile und Steckernetzteile sind natürlich häufig tatsächlich nicht ausdrücklich als Spielzeug zugelassen.
Auch dieses Zitat hier hat mir der Staatsanwalt unter die Nase gehalten:
Zitat
Laptop-Netzteile haben aus rechtlichen Gründen nicht an der MoBa verloren.
Hmmm, das sieht nichts gut aus für mich…
Heute hat mich mein Anwalt besucht.
Er ist erstaunlich zuversichtlich. Er meint, dass in Deutschland niemand gezwungen wird, Spielzeug herzustellen. Wenn Hersteller zum Beispiel Netzgeräte trotzdem unbedingt als Kinderspielzeug verkaufen wollen, ist das ihre Sache, aber sie müssen sich besonders strengen Regeln unterwerfen. Denn Spielzeug muss ganz besonders sicher sein. Anders als bei „normalen“ Netzgeräten muss es beispielsweise problemlos möglich sein, Kinder mit solchen Geräten unbeaufsichtigt alleine spielen zu lassen. Rechtsgrundlage dafür sei übrigens die EU-"Spielzeugrichtlinie" 2009/48/EG, die in ihren wesentlichen Teilen in allen EU-Staaten gilt.
Manche Firmen wollen Spielzeugeisenbahnen anbieten, andere wiederum wollen das nicht, sagt mein Anwalt. ESU beispielsweise verzichtet bei etlichen Modellbahn-Produkten darauf, sie als Spielzeug zu deklarieren, und schreibt stattdessen z.B. im Beipacktext zum SwitchPilot unmissverständlich folgendes:
Zitat
Betreiben Sie den SwitchPilot niemals unbeaufsichtigt. Der SwitchPilot ist kein (Kinder)-Spielzeug.
Der SwitchPilot sei dennoch völlig in Ordnung, sagt mein Anwalt. Es handle sich hierbei bloß um kein Spielzeug. Man dürfe an einer Modellbahn jedes beliebige ORDNUNGSGEMÄSS ZUGELASSENE UND ENTSPRECHEND GEKENNZEICHNETE Gerät betreiben, sagt mein Anwalt. Wenn es sich dabei nicht um Kinderspielzeug handelt, müsse man Kinder halt entsprechend beaufsichtigen und dafür sorgen, dass sie nicht in Gefahr geraten. Ein nicht als Spielzeug geeignetes Gerät ist deswegen noch lange nicht verboten. Genau wie Messer, Gabel, Scher‘ und Licht.
Wer dagegen behauptet, eine Modelleisenbahn sei grundsätzlich immer ein Spielzeug, tut so, als ob man jede Modellbahn unbedenklich unbeaufsichtigten Kindern überlassen dürfe. Das ist nicht nur falsch, sondern eventuell sogar eine gefährliche Falle.
Gegen solche gefährlichen, irreführenden Aussagen sollte man mit Entschiedenheit auftreten, sagt mein Anwalt.
Und Laptop-Netzteile sind, wenn sie den einschlägigen Normen und den Herstellervorgaben entsprechen, selbstverständlich auch an Modellbahnen erlaubt. Ein wichtiger Rechtsgrundsatz sei nämlich, dass in Deutschland grundsätzlich alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist. Und ein Laptop-Netzteil-Verbot an Modellbahnen existiert nicht, sagte mein Anwalt. Ein Laptop-Netzteil-Verbot dieser Art konnte bisher noch niemand nachweisen. Deswegen werden von den Autoren von Aussagen wie den oben zitierten auch niemals konkrete Gesetzesstellen zitiert, sondern immer nur ganz allgemein „rechtliche Gründe“.
In ein paar Tagen kriege ich Sie hier raus, sagte mein Anwalt, kramte in seiner Tasche, blätterte mir eine mehrseitige Honorarnote über seine bisherigen Leistungen auf den Tisch und schickte sich an, sich zu entfernen.
Hmmmm, sagte ich, das Problem ist nur, ich bin Österreicher.
Das tut nichts zur Sache, sagte mein Anwalt. Wir sind derzeit noch in der EU. Bis zur Abstimmung über den Dexit gilt das alles sinngemäß auch für Österreicher.
Na, wenn das so ist… Ob ich dann vielleicht schon am nächsten Freitag mit der Arbeit an meiner Moba fortsetzen kann...?
Vorsichtig optimistisch
Euer Karl
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