Lieber Werner, liebe Mitglieder des Stummiforums,
- wie aus meiner Zuschrift zu ersehen ist, bin ich nicht mehr ein Jüngling. Ich kam 1960 auf das Viersener altsprachliche Gymnasium, dorthin kamen auch die Jungen aus dem Westen des heutigen Kreises Viersen (früher Kreis Kempen-Krefeld, Kfz-Kennz. KK, gerne auch "Königreich Kappes" genannt). Meine Klassenkameraden aus "Brüggen, Bracht, Breyell, Boisheim und Umgebung" durften oft schon um 13. h statt um 13.15 den Unterricht verlassen, weil sie sonst den Zug nicht bekommen hätten. Sie fuhren von Viersen Bhf nach Dülken ( = sieben km) , stiegen um in die "Klimp" ( rheinisch für "Bimmelbahn") über Waldniel, Amern nach Brüggen. Ich meine, dass es damals schon Triebwagen gewesen seien. Die Strecke von etwa 17 km von Schul-Tisch zum heimatlichen Mittags-Tisch dauerte gut & gerne 90 Minuten. Ab und zu fuhren von Waldniel noch lange Sonderzüge nach Xanten oder Kleve, jeweils mit einer V 100 bespannt. 1977 bin ich da noch einmal mitgefahren.
- Ab 1993 hatte mich auf meinen Wunsch mein Arbeitgeber, der Regierungspräsident Düsseldorf, wieder nach (Schwalmtal-)Waldniel versetzt. Bei gutem Wetter - und nicht nur da ! - nahm ich es sportlich, fuhr mit dem Fahrrad entlang der Landstraße oder durch Feld & Wald die 16 km Richtung Heimat. Ab und zu fuhr ich mit einem Güterzug um die Wette, wenn wieder eine Ladung Draht bei der Fa. Rösler Draht in Waldniel verfrachtet worden war: Er Gleis, ich Landstraße, bei Rückenwind war ich schneller bis Dülken. Ab 1995/6 wurden die Gleise nicht mehr befahren, bald kam der Abbauzug, es blieb nur die rohe Trasse, im Laufe der Jahre entwickelte sich dort eine "spontane Ruderalflora mit potentiell naturnaher Bestockung" ( das heißt im wissenschaftl. Sprech der Naturschützer: Wildnis); das war sehr schön, wie sich Birken, Weiden, Erlen, Ebereschen, Buchen, Walnussbäume in dem alten Gleisbett ansiedelten. Die ausgeräumte Agrar-Landschaft ( ach, der Lindenbaum!!!) mit ihren Rüben- und Kartoffeläckern, dazu mit den Stromleitungen, gewann außerordentlich dadurch. Mir fiel immer der Spruch ein: "Der Niederhein ist zur Zeit der Kartoffelblüte am schönsten".
- Ab 2010 kam das "Radwegeprogramm NRW" - was eigentlich Quatsch ist. Unter einer Rot-Grünen Landesregierung wurden lediglich aufgelassene Eisenbahnstrecken geteert und als Radwege verkauft: Zwischen Schlackebergen und abgerissenen Gießereien ist das ein landschaftlicher Hochgenuss. Ich hatte mich an verschiedene Stellen gewandt, die überwachsene Bahnstrecke nicht zu teeren, die sogen. "Grünen" in Waldniel meinten dazu: "Das bezahlt Düsseldorf, geht uns nichts an", es ging um 520.000 € Steuergeld - von den Bruthabitaten einiger seltener Vögel ( Baumfalke und Wespenbussard) ganz zu schweigen.
- Ab 2011 war Schluss: Rodung, Planierraupe, Teeren, Neuanpflanzung. Und was haben die klugen Leute wohl gepflanzt??? Linden, hohe Linden ( tilia cordata) von fast vier Metern Höhe, teuere Bäumchen, dazu Hainbuchenhecken. Jetzt sieht es aus wie auf der Siegesallee, sie führt geradewegs auf die - Aha ! - mächtige Linde zu, die dort steht, wo früher die Eisenbahnstrecke die Landstraße von Dülken nach Amern kreuzte.
- Und was ist von der Strecke übrig geblieben? Nun, in Brüggen gibt es in dem früheren Bahnhofsgebäude ein Hotel "Zur Klimp", davor steht eine Tenderlok, allerdings - aus Finnland! Traurig ist der sogen. Bahnhof ( Haltepunkt, ein Wellblech-Unterstand) Brüggen-Born heute noch zu betrachten; man sieht ein gepflegtes Stückchen Gleis, ein Hauptsignal auf "Freie Fahrt" und daneben den verträumten Borner See. Gelegentlich laufe ich um den Borner See herum, mein Enkel sagt dann immer ganz leise: "Opa, wo ist die Eisenbahn?" Ja, da hat der kleine Mann recht. Das frage ich mich auch.
Man suche ein wenig im Netz, dort findet sich ein Foto der kleinen finnischen Dampflok, auch das Signal am winzigen Bahnhöfchen von Brüggen-Born, gleich hinter dem Kirchlein.
Beste Grüße
Herbert