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Der Fluch der Akribik, Teil 335
WENIGER IST MEHR
„Konnst do nit noch a bisale an Sond herstrahn, ha?“ [Magst du bitte hier noch etwas mehr Sand hinstreuen?] Ich war perplex ob dieses plötzlichen unerwarteten Interesses Mitzis an meinem Sand- und Schotter-Experimenten im Schattenbahnhof.
„Wast“, setzte sie fort, „am Irte woa i bei da Fini, wal dos derf ma, a beste Freindin besuachn, und de hot sooo ane scheanan Kaktusse. Schtöll da vur, de bringt se sogoa zum Bliahnan! Wonn ma do noch a weane mehr Sond hertatatn und a bisle mehr einhazn tatn, kentat i do a a poa so scheane Kaktusse hobm!“ Und nach einer kurzen Nachdenkpause fügte sie noch hinzu: „Donn tätat ma vielleicht a de schiachn Gleise nit so segn!“.
[Weißt du, ich war am Dienstag bei der Josefine, denn das darf man, eine beste Freundin besuchen, und die hat sooo schöne Kakteen. Stell dir vor, die bringt sie sogar zum Blühen! Wenn man hier noch ein wenig mehr Sand aufschüttete und ein bisschen mehr einheizte, könnte auch ich hier ein paar so schöne Kakteen haben! – Und dann würde man vielleicht diese hässlichen Schienen auch nicht mehr so gut sehen!“]
Ich sah vor meinem geistigen Auge bereits ganze Kakteenwälder in meinem Schattenbahnhof entstehen, mit schwanzklappernden Viessmann-Klapperschlangen darunter und Lex Barker mittendurch reitend, mit ausgefranstem Gewand und eingezogenem Bauch den athletischen Körper des Old Shatterhand mimend.
Wie kann ich der Mitzi nur beibringen, dass hier ganz bestimmt keine Kakteen hinkommen?
Ich schiebe diesen Gedanken mal beiseite, das überlege ich mir später, denn mein Schattenbahnhof ist ja nicht gerade klein und muss fertig werden, da haben Mitzis Kakteen im Augenblick nicht die allerhöchste Priorität.
Mit meinen Schotter-Ergebnissen bei weitem noch nicht zufrieden, sah ich mir diese Woche eine Reihe von Videos an. Aber irgendwie geht’s da meistens vorgeblich um Einfachheit und Schnelligkeit, aber eine überzeugende Ähnlichkeit mit dem Vorbild will sich häufig nicht recht einstellen. Dies wird spätestens dann klar, wenn man beim Betrachten dieser Videos Vorbildfotos hinzuzieht und die Ergebnisse mit dem Vorbild vergleicht. Das musste irgendwie anders gehen...
Dieses Video Wolfgangs (wolferl65) hier brachte schließlich den Durchbruch:
[youtu-be]https://youtu.be/ldK7_I2LFsc[/youtu-be]
Ich habe mir dieses Video mehrfach angesehen.
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Wenn du dieses Video noch nicht kennst, schau
es dir bitte an, bevor du hier weiterliest.
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Was an Wolfgangs Ausführungen mich veranlasste, meine Vorgangsweise grundlegend zu ändern?
Nun, der Schotter ist es nicht, den wählt man am besten mit Hilfe von Vorbildfotos aus. Dann kommt man auch schnell drauf, dass eine einzige Schottersorte nicht reicht, und dass man auch für die Zwischenräume verschiedene Sande, verschiedene Splittsorten und Farbpigmente einsetzen muss, damit man Effekte erzielt, wie man sie auf Vorbildfotos sieht.
Nein, das war’s nicht. Auch der Tipp, mal Kaffee trinken zu gehen, war zwar hilfreich, aber ebenfalls nicht wirklich neu.
Den Durchbruch bei mir brachte vielmehr der Hinweis, „…dass man nicht zu viel nimmt, sondern lieber notfalls nochmals dünn drüber geht.“
Bingo, das war’s.
Viele YouTube-Videoautoren schütten nämlich unnötigerweise Unmengen von Schotter aufs Gleis und präsentieren dann auf beeindruckende Weise, wie sie diese Unmengen überschüssigen Schotters wieder entfernen – vom virtuos eingesetzten Pinsel bis hin zu allerlei sinnreich erdachten Vorrichtungen, die wegbürsten oder wegsaugen, was man eigentlich gar nicht erst aufs Gleis hätte schmeißen müssen.
Dazu kommt Wolfgangs Tipp, es doch ganz einfach mit dem Finger zu machen. Ich hatte bis dahin stets mit guten Pinseln gearbeitet, aber es zeigte sich, dass so gut wie jeder Pinsel immer etwas zu viel Schotter aus den Gleiszwischenräumen reißt, sodass die Schwellen dann recht erhaben im Schotterbett stehen. Ein No-Go bei meinen Abstellgleisen, wo der feine Schotter bis an die Oberkanten der Schwellen reichen sollte. Anders als der Pinsel nimmt der Finger nicht so viel Schotter aus den Zwischenräumen. Klopft man mit dem Finger auf die Steinchen, so verdichtet er den Schotter sogar.
Was mich nun noch störte, war, dass immer etwas Schotter am Schienenprofil blieb, weil man dort mit der Fingerkuppe nicht hinkommt. Gesucht war also ein Werkzeug, das die Funktion des menschlichen Fingers übernahm, aber zugleich auch in kleine Winkel reichte.
Ich experimentierte zunächst mit verschiedenen Schwämmen. Erste brauchbare Ergebnisse erzielte ich mit diesem feinporigen Schwämmchen hier:
Aber auch hier taten sich Probleme auf. Problem eins war, dass mir nicht mehr einfiel, wo ich dieses knackige Teil herhatte. Mehrere Internet-Recherchen brachten keinen einzigen Hinweis auf irgendeine Bezugsquelle. Problem zwei war, dass sich Problem eins nach wenigen Laufmetern Gleis erübrigte, denn der Schotter riss bald kleine Löcher in das Schwämmchen, sodass es wieder zu grobporig wurde und beim Verdichten und Verreiben entsprechend erhabene Abdrücke im Schotter hinterließ.
Es musste also etwas sein, was deutlich robuster war als ein feiner Schwamm.
Also her mit den bei mir reichlich vorhandenen Resten von Weinerts Regenerat-Gummi, den ich für die Schalldämmung der Gleise verwendet hatte. Ich schnitt einen Streifen in der Breite der Spurweite und mit etwa 5 Zentimetern Länge zu.
Und das war dann genau das, wonach ich gesucht hatte.
Mit diesem Werkzeug zeigte sich rasch, dass der Schotter genau wie mit dem menschlichen Finger von den Schwellen und von den Kleineisen abgerieben werden kann, ohne dass zu viel Schotter aus den Zwischenräumen gerissen wird, und man kann damit genau wie mit dem menschlichen Finger den Schotter verreiben oder auf den Schotter klopfen, um ihn zu verdichten. Nur bei den Weichen verwende ich meine Pinsel noch, um in besonders enge Zwischenräume zu gelangen, wo ich selbst mit ganz schmalen Gummistreifen nicht hinkomme.
Um den Gummi besser halten zu können, habe ich ihn mit Pattex auf ein passend zugeschnittenes Sperrholzplättchen geklebt und diesem noch einen kleinen Griff montiert:
Wichtig ist mir bei dieser Gummi-Methode, dass der Gummistreifen einige Zentimeter lang ist, damit man ihn schön plan auf die Schwellen auflegen kann. Denn hält man ihn schräg, zieht er auf wieder Schotter aus den Zwischenräumen wie ein Pinsel.
So, jetzt muss ich aber rasch in den Hobbykeller. Nicht dass die Mitzi anfängt, Kakteen zu pflanzen, während ich hier begeistert über Wolfgangs Video und über mein neues Einfachst-Selbstbau-Werkzeug berichte…
Liebe Grüße
Euer Karl
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