Moin Joachim,
machst du dir das nicht zu einfach, was den Informationsfluß bezüglich Amtsblattveröffentlichungen jener Zeit anbetrifft?
Heutzutage in den Zeiten des Internets ist einfach an die jeweils letzten Änderungen und gültigen Fassungen der Vorschriften aus den Amtsstuben vergangener Epochen heranzukommen.
Natürlich gilt das, was in der jeweils aktuellen Fassung der Signalordnung, der Ausführungsbestimmungen, der EBO oder MBO per Amtsblattveröffentlichung per Gesetz vorgeschrieben war.
An Hand von einigen Beispielen möchte ich dir das aber gerne mal erklären, wie der Behördliche Verwaltungsapparat einer Behörde so funktionierte.
In den Direktionen und Verwaltungsbehörden der Administration gab es ausreichend viele Beamte, die sich um nahezu nichts anderes kümmerten als die vielen unzähligen ständigen Gesetzesänderungen, welche es zu den unterschiedlichsten Gesetzesbüchern gab, diese einzupflegen.
Amtblattveröffentlichungen wurden von der Bundesdruckerei, die gabs damals auch schon, in Amtsblattänderungen als einzuklebende Seiten älterer Publikationen an die jeweiligen übergeordneten Dienststellen verschickt der betreffenden Administrationen verschickt, in unserem Fall an jeweils eine der 22 Eisenbahnadministrationen (Direktionen) im Königreich Preußen, diese hatten zu gewährleisten, daß die Änderungen zeitnah in die jeweiligen Dienststellen und Bahnhöfe verschickt wurden.
Ausgenommen davon waren die Privat organisierten Eisenbahnen, diese mußten sich um die jeweilige gültige Fassung ihrer benötigten Vorschriften selbst kümmern.
Alllein hierbei ist schon ein gewisses Fehlerpotenzial vorprogrammiert.
Wenn ich mich an meine Praktikantenzeit zurück erinnere, gab es auch bei der DB Behörde einige Aufgaben, die wir Praktikanten haßten, das war das Einpflegen der Amtsblattverfügungen, die sich im Laufe der Zeit zu den unterschiedlichsten Gesetzbüchern so ansammelten.
Auf die Frage, warum das die Praktikanten zu tun hätten, kam die lapidare Antwort: ,,wer soll es denn sonst machen! Wir haben hier wichtigeres zu tun, als uns um jede Änderung der Änderung zu kümmern!" Und das war nur eine kleine Dienststelle der Bahnhofsverwaltung der mehrere kleinere Güterbahnhöfe aber auch der Hauptgüterbahnhof Hamburg unterstellt waren.
Das jeweilige ,,Tagesgeschäft" womit die Bahn Geld verdiente ging vor und das Einpflegen von Amtblattverfügungen blieb sprichwörtlich ,,auf der Strecke!"
Egel in welchen Bereich oder in welchen Bahnhof ich die Ehre hatte ,,reinschnuppern zu dürfen," die erste Aufgabe war es, Amtsblattverfügungen die ,,packenweise" irgendwo herumstanden auszupacken und chronologisch einzupflegen.
,,Ach da gabs wieder mal eine Änderung?" bekam man dann als Frage zu hören, ,,dann müssen wir uns das mal bei Zeiten durchlesen aber nicht mehr heute!"
Dieses Beispiel zeigt schon bei ,,nüchterner Betrachtung" auf, wie sorglos oder lustlos ,,genervte" Beamte ihren Dienst verrichteten, die mit dem Betriebsdienst nichts zu tun hatten.
Beamtenanwärter hatten eine zweijöhrige Probezeit zu überstehen, in dieser Zeit waren sie sehr pflichtbewußt und achteten sehr penibel auf ,,Nachlässigkeiten" ihrer Kollegen und mahnten diese oftmals auch an.
Den jeweiligen Dienstellenleitern oblag es, sich für die Mitarbeiterfortbildung einzusetzen.
In der Lübecker Stadtbibliothek gibt es eine Ausgabe der Signalordnung von 1904, welche um diverse Einklebeseiten so ergänzt wurde, daß sie erst um 1914 durch eine neuere Ausgabe abgelöst wurde.
Die Ausgabe von 1907 war gänzlich an der betreffenden Dienststelle ,,vorbeigegangen" und war vermutlich unbekannt?
Das Werk, ,,Eisenbahnbau der Gegenwart," herausgegeben von den Autoren Bluhm, von Borries und Barkhusen in mehreren Bänden, speziell die 4. Abteilung bearbeitet von Scholkmann bezüglich der Signal- und Sicherungsanlagen hatte Drucklegung im Jahr 1904.
Scholkmann verweist selber gerne auf die damalige Fassung der EBO, den Ausführungsbestimmungen oder auch der Signalordnung, man muß aber bedenken, daß ihm vermutlich die Ausgabe der Signalordnung von 1904 noch unbekannt war, da beide Publikationen zur selben Zeit herauskamen.
Scholkmann schreibt bezüglich der Gleissperren diese seien mit einem weißen Milchglaskreuz ,,+" auf schwarzem Grund bei Tag und Nacht kenntlich zu machen.
Bedenkt man dann noch wie ,,gerne" Änderungen der jeweiligen Signalordnung in Dienststellen eingepflegt wurden, sobald diese verfügbar waren, hieß auch dieses noch lange nicht, daß die erforderlichen Betriebsmittel ,,sofort" verfügbar waren.
Nach der ,,in Kenntnisnahme" von Änderungen, wurden die zuständigen Bahnmeistereien damit beauftragt, die neuen Betriebsmittel mit ihrem knapoen Budget zu beschaffen und an die jeweiligen Dienststellen auszuliefern und ggfs. die betreffenden Mitarbeiter zu ,,unterweisen."
Auch hierbei konnte es zu einem zeitlichen ,,Versatz" führen bis die neuen Gleissperrzeichen ,,ordnungsgemäß" als ,,eingeführt" zu betrachten waren. Bis zu diesem Zeitpunkt aber, wurde mit den alten Betriebsmitteln weitergearbeitet.
Einfach mal darauf hinzuweisen, ,,aber in der Signalordnung von 1907 steht ja drin, daß eine Gleissperre mit einer runden, weißen Milchglasscheibe mit breitem, waagerechtem schwarzem Balken bei Tag und Nacht kenntlich gemacht werden soll" greift ,,zu kurz", man stelle sich lieber die Frage, wann und wie zeitnah wurden die betreffenden Mitarbeiter mit den abgeänderten Betriebsmitteln ausgestattet und unterwiesen?
Und schon haben wir abweichende Ergebnisse in der Betrachtungsweise.
In der Praxis wird solange mit älteren Betriebsmitteln weitergearbeit, bis die neueren, den aktuellen Vorschriften entsprechenden Betriebsmittel verfügbar sind, wenn sich das durch Budget Kürzungen verzögert, dann liegt das an der administrativen Führung der jeweiligen Bereiche.