Hallo Willi, hallo Stummis,
ich hatte vor einiger Zeit angedeutet, dass mich eine besondere Beziehung mit der V 36 verbindet. Ich habe sie - nun ja - ausgezogen . Willi hat mir erlaubt, die Geschichte hier zum Besten zu geben, auch wenn es ein längerer Beitrag wird.
Machen wir den Anfang mit einem Bild aus Bochum-Dahlhausen. V 36 231 rangiert am Tag vor den Museumstagen im Frühling 1990 auf den Gleisen des Museums. Kurz zuvor kam 41 360 angedampft, deren zusätzlicher Tender aufgeräumt werden musste.
Als ich das Bild aufgenommen habe, war ich 17 und arbeitete seit einigen Monaten an V 36 255. Ich wünschte mir, dass mein Verein, der Historische Schienenverkehr Wesel e.V. -> Webseite), ebenso wie die Dahlhausener über eine betriebsfähige V 36 verfügte.
Übrigens woran erkennt man einen jugendlichen Eisenbahnfan? Ganz klar, wenn so ein Bild großformatig über'm Bett hängt statt eines Posters von Kylie Minogue, Britney Spears oder Madonna (die "zu meiner Zeit" - ach Du Sch ..., so weit ist es schon? - angesagt waren). Was mich daran so faszinierte, kann ich nicht mehr so genau sagen. Die simple, handfeste Technik? Der satte Sound des U-Boot-Motors? Die Tatsache, dass die Vereinskollegen mich an der Maschine werkeln ließen?
Der Verein hatte 236 255 1984 von den Schwenk-Zementwerken in Schelklingen erworben. Geplant war, die V36 rasch wieder in Betrieb zu nehmen, doch daraus wurde nichts. Die Unterhaltung von Dampflok und Wagenzug banden die Kräfte aller Aktiven. Sie war - wie alle Fahrzeuge des HSW mit Ausnahme der Dampflok (Nassdampf-B-Kuppler aus dem Hause Henschel (Typ Hansa, 1916)) damals mangels Halle - im Freien abgestellt.
Kesselprobleme unserer Dampflok führten dazu, dass wir die Aufarbeitung der V 36 1988 endlich in Angriff nahmen. Die Maschine war in betriebsfähigem Zustand zu uns gekommen, wenn auch äußerlich arg der Zahn der Zeit an ihr genagt hatte. Lack blätterte ab, tiefe Roststellen zierten die Aufbauten. Doch die Aufarbeitung sollte kein unlösbares Problem darstellen – dachten wir. Weil eine Fahrwerksuntersuchung fällig war, wurde die Lok ausgeachst, der Rahmen gesandstrahlt und mit Ultraschall überprüft. Rahmen und Achsen waren in Ordnung, die Lok hätte also wieder eingeachst werden können. Doch dazu fehlte die Zeit. Bis 1990 schwebte die Lok über den Dingen.
Ich hatte in meinen Sommerferien 1989 damit begonnen, das Führerhaus innen und außen von alter Farbe und Rost zu befreien. Ein schweißtreibendes Unterfangen unter einer Gasmaske, stand die Lok doch in der prallen Sonne. Ein Vorgeschmack auf die Temperaturen im Führerhaus, wenn die Lok wieder in Betrieb sein würde.
Anderthalb Jahre später konnten wir die 255 ausziehen, sprich die Motorhaube abnehmen und Sandstrahlen lassen.
(Sorry für die bescheidene Bildqualität. Ich musste einen Abzug vom Dia scannen, dessen Ausgangswerte schon flau waren ...)
Wir haben die Lok unter der Haube weggeschoben und sie auf einem Flachwagen abgeladen. So zog man damals solche Frauen aus
Zum Ende der Saison 1988 hatten wir die Dampflok wegen undichter Rohre in den einstweiligen Ruhestand versetzen müssen, sodass der Verein über kein betriebsfähiges Triebfahrzeug mehr verfügte. Unser Jung-Rangiergerät eignete sich mit seiner „Höchstgeschwindigkeit“ von 8 km/h und seiner Fußbremse nur für den Verschub. Für unsere Fahrten rund um Wesel mieteten wir die Köf III des Bahnhofs Wesel samt Köf-Piloten oder suchten uns ein anderes Tfz – auch kein Dauerzustand. Doch die Arbeiten an der V 36 traten auf der Stelle.
Um endlich weiterzukommen, suchte ich mir alle Informationen zum Deutz-Dieselmotor zusammen, der inzwischen (wir schrieben das Jahr 1992) seit acht Jahren nicht mehr gelaufen war. Bei Deutz erkundigte ich mich, was in diesem Falle für die Inbetriebnahme zu tun wäre und erhielt von einem freundlichen Ingenieur die beruhigende Auskunft, dass wir ggf. das Öl wechseln, ansonsten aber keine Vorkehrungen treffen müssten. Die eigentlich für U-Boote konstruierten Motoren seien unverwüstlich, wir sollten die Luftanlassflaschen füllen und den Motor durchdrehen, alles weitere würde sich zeigen. Falls die Einspritzpumpe Probleme machte, nannte er mir noch die Adresse eines Deutz-Motorenspezialisten in Krefeld.
Wassereinbruch
Das war eine erfreuliche Auskunft. Guten Mutes machte ich mich eines schönen Samstags daran, den Zustand des Motoröls zu prüfen. Die V 36 besitzt eine Handpumpe, mit der vor dem Anlassen Öldruck aufgebaut wird, damit die Kolben in den Zylindern nicht trocken laufen. An dieser Pumpe befanden sich ein Hahn und ein Schlauchanschluss, um Öl aus dem Sumpf abpumpen zu können. Ich stellte eine Wanne unter den Anschluss, öffnete mit einiger Mühe den Hahn und pumpte. Aus dem Anschluss lief nach einiger Zeit eine klare Flüssigkeit. Wasser! Die Pumpe förderte aus dem Ölsumpf Wasser zu Tage! Das sprach nicht unbedingt dafür, dass wird den Motor in nächster Zeit anlassen würden. Vorher mussten wir wohl doch eine genauere Inspektion des Inneren vornehmen.
Etwa zur gleichen Zeit bekamen wir von einem Mitarbeiter der ehemaligen BP-Raffinerie in Bucholtwelmen bei Voerde das Angebot, einen kleinen Deutz-B-Kuppler zu übernehmen. Die Lok habe einen Unfall gehabt und stünde seitdem im Lokschuppen auf dem Gelände der Raffinerie. Wir sollten uns das Maschinchen mal angucken.
Die BP hatte die Raffinerie 1986 stillgelegt, nachdem die Gemeinde Hünxe die Genehmigung für eine Erweiterung und Modernisierung der Anlage abgelehnt hatte. Die Raffinerieanlagen wurden nach und nach abgebaut und damit waren auch die Eisenbahnanlagen und -fahrzeuge überflüssig. Die Gelegenheit, uns den Deutz-B-Kuppler anzugucken, ließen wir uns nicht entgehen.
V 36 255 lebt!
Die Geschichte der 255 ist damit – zu meiner großen Freude – noch nicht zu Ende. Der Verein verkaufte die Lok 1998, mehr oder weniger als Schrotthaufen auf Rädern (lauffähig!), an die Westfälische Almetalbahn, danach verlor ich sie aus den Augen. Einmal noch sah ich sie (beinahe) wieder: Auf dem Titelbild eines EK-Heftes, einer Aufnahme aus einem Aw, Meiningen vielleicht oder MaLoWa (das Heft habe ich dummerweise nicht aufgehoben), ist unverkennbar ihre hintere Pufferbohle zu sehen. Dort hatten Vereinskollegen nämlich zwei massive Stahldreiecke angeschweißt, um die Lok mit unserer Hebeanlage aus den Achsen heben zu können (das seht Ihr auf dem Bild der aufgebockten V 36, denn vorne hatte sie diese Dreicke natürlich auch).
Danach konnte ich lange nicht herausfinden, was aus der Maschine geworden ist. Bis mir Anfang 2015 zufällig das Lokmagazin in die Hand fiel, in dem es hieß, dass die 255 zur Sammlung Guttwein in Altenbeken gehöre. Dort hört sie auf den Namen „D 9“ und trägt sogar eine NVR-Nummer (98 80 3236 255-6 D-DP, Quelle: www.rangierdiesel.de), sodass ich davon ausgehe, dass sie wieder betriebsfähig ist. Vielleicht habe ich irgendwann die Gelegenheit, sie zu besuchen und zu hören (!), vielleicht ist mein Traum (siehe Bild am Anfang) doch auf andere Weise wahr geworden.
Übrigens war die BP-Lok genau das richtige für den HSW. Wir haben sie instand gesetzt und ihr flaschengrünes Kleid in ein blaues verwandelt (Ihr seht, ich ziehe Frauen nicht nur aus, sondern auch frisch an ). Durch sie erfüllte sich der Kindertraum vom Lokführer, ich habe ein Patent nach Bau- und Betriebsordnung für Anschlussbahnen erworben und bin für den HSW als Lokführer gefahren. Aber das ist eine andere Geschichte.
Dieses Bild hing dann übrigens auch jahrelang über meinem Bett.