Moin Kollegen,
so manch ein Kollege hat mal selber bei der Bahn gearbeitet oder macht es noch oder kannte oder kennt Jemanden, der bei der Bahn oder sonstigen Verkehrsunternehmen arbeiten.
Im Bezug zum Schienenverkehr gibt es oft und mit etwas Ironie aufgearbeitete Kurzgeschichten, Erlebnisse oder Anekdoten, die möglicherweise auch für uns von Interesse sein könnten?
Laßt uns doch mal solch ein Werk in Angriff nehmen und hier entsprechende Beiträge sammeln.
So mache ich gleich auch mal den Anfang.
Bevor ich nach Lübeck umzog, habe ich 33 Jahre in Bargteheide gewohnt, ein Kleinstädchen von mittlerweile etwa 17.000 Einwohnern.
Bargteheide liegt 35 Bahnkilometer von Lübeck entfernt in Richtung Hamburg und hat seit 1865 auch einen Bahnhof.
Eigentlich sollte die damals größere Nachbargemeinde Tremsbüttel den Bahnhof bekommen, doch der dortige Schloßbesitzer war gegen die Zerteilung seiner Ländereien also bekam das damalige kleine Dorf Bargteheide den Bahnhof, der bis heute für Aufschwung im Ort sorgt.
Die Gemeinde Tremsbüttel hat aber nach wie vor ein extrem gestörtes Verhältnis zur Bahn und der Gemeinderat blockiert alle Vorschläge zur Verbesserung der Verkehrsanbindung und verweigert Gemeindemittel zum Ausbau der Infrastruktur.
Darunter leiden derzeit Anwohner im Tremsbütteler Vorort Rolfshagen, die gerne den Haltepunkt Kupfermühle nutzen möchten und vom Gemeinderat eine Zustimmung für einen Park & Ride Parkplatz und höhere Bahnsteige einfordern, dieses aber nicht bekommen, da aus alter Tradition heraus der Gemeinderat alle Ausbaumaßnahmen der Bahn ablehnt, wenn dazu Gemeindemittel benötigt werden oder Bauland zur Verfügung gestellt werden sollen. Die betreffenden Bürger könnten ja das Land selbst erwerben und sich selbst einen Parkplatz einrichten, der dann aber öffentlich, für Jedermann nutzbar sein müßte, Hauptsache der Gemeinde entstehen keine Kosten.
Eine ewige "Provinzposse" ohne Aussicht auf Veränderung.
Im Bargteheider Bahnhof tat mal ein mittlerweile verstorbener Fahrdienstleiter seinen Dienst, der in der Nähe des Bahnhofs wohnte. Auf Grund mehrerer Dienstverfehlungen hatte msn ihn mehrmals von A 11 mit Zulagen auf A 9 ohne Zulagen in seinen Beamtenbezügen degradiert und ihn auch häufiger mal mit dem Öleimer und den Pinsel mit dem langen Stiel zum Abschmieren von Weichen verdonnert, denn ein Fahrdienstleiter muß ja auch die benachbarten Bahnhöfe gut kennen, sollte er dort mal Dienst verrichten müssen.
Sein Name war Lothar P. und er war für uns Nichteisenbahner damals ein geselliger Typ, der auch mal gerne Gesellschaft in seinem Stellwerksraum haben wollte.
So durfte auch ich ihm bei seiner Arbeit häufiger mal zuschauen und er erklärte mir Vieles.
Damals gab es das Übernachtungshaus neben dem Bahnhofsgebäude noch, wo Eisenbahner übernachten konnten, wenn sie mit dem letzten Zug ankamen der Abends ausgesetzt wurde und am frühen Morgen wieder zurück nach Hamburg Hbf fuhr.
Der ausgesetzte Zug mußte dann nur noch von Gleis 3 nach Gleis 4 rangiert werden.
Gleis 1 mit Hausbahnsteig war für Züge aus Bad Oldesloe kommend in Richtung Hamburg der Bahnsteig zum Anhalten.
Gleis 2 am Inselbahnsteig wurde damals für Züge nach Bad Oldesloe eher nicht genutzt, damit Reisende den mit Bahnsteigschranken gesicherten Überweg zum Inselbahnsteig länger nutzen konnten.
Gleis 3 wurde für die Aussetzerzüge genutzt die nach Hamburg zurückfuhren aber auch für die Züge in Richtung Bad Oldesloe.
Gleis vier war das Gleis an der Ladestraße.
Vor dem beschrankten Bahnübergang am Bahnsteigende von Gleis 1 befand sich an Gleis 4 eine Weiche mit Abzweig zur Holzhandlung und zwei weiteren Industrieanschließern dahinter.
Die Weiche von Gleis 3 in Gleis vier befand sich mit der spitzen Seite zum Bahnübergang.
Gleis 3 wurde erst nach den Ausfahrsignalen aller drei Gleise in Gleis 2 eingefädelt und der Gleiswechsel zu Gleis 1 befand sich hinter einer Blechwannenbrücke über einer Straßeninzerführung.
Zur anderen Richtung nach Bad Oldesloe existierte eine gesicherte Handweiche zu Gleis 4 mit Gleissperre und Gleis 3 fädelte in einer diagonal liegende Weich zu Gleis 2 am Bahnsteigende des Inselbahnsteiges ein. Hinter der Brücke über die Bahn befand sich der Gleiswechsel zu Gleis 1 in einer nach rechts führenden Kurve.
Aussetzerzüge, die nach Gleis 4 umsetzen sollten mußten erst einmal den Bahnhof Richtung Hamburg bis zum kurz vor das Ausfahrsignal in ca. 750 m vom Bahnhofsgebäude verlassen um dann in entgegengesetzter Fahrtrichtung in Gleis 4 über eine ferngestellte aber ungesicherte Weiche einfahren zu können.
Diese Weiche hatte keine Verriegelungssperre.
Ein versehentlich Drücken des Stelltasters bewirkte das Umstellen der Weiche.
Nahverkehrszüge fuhren damals mit der Lok in Richtung Hamburg und mit Steuerwagen in Richtung Bad Oldesloe.
Als Loks wurde die BR 218 und 6 Silberlinge mit Steuerwagen eingesetzt.
Der letzte Aussetzerzug kam mit erheblicher Verspätung in den Bahnhof.
Nachdem die letzten Fahrgäste und der Zugführer den Zug und den Bahnsteig verlassen hatten wurden die Bahnsteigschranken gesenkt.
Der Lokführer kletterte in seine Lok und zog in Richtung Ausfahrsignal vor betätigte sein Signalhorn und fuhr rückwarts.
Unmittelbar nach dem Ertönen des Signalhorns wurde die Weiche zu Gleis 4 gestellt.
Sobald der Zug in Gleis vier eingefahren war, stellte der Lokführer den Motor ab und lief zur Bahnsteigschranke.
Doch diesmal war alles anders!
Lothar P. unterhielt sich mit dem Zugführer, aschte versehentlich auf sein Stellpult anstatt in den Aschenbecher. Beim Wegschnipsen der Asche kam er versehentlich an den Stellknopf der Weiche zu Gleis 4, bemerkte das rechtzeitig und drückte ein zweites Mal drauf, kurzer Blick aus dem Fenster, in Gleis 4 einfahrenden Zug nur schemenhaft erkannt, Glück gehabt, nichts paßiert oder doch?
Kurze Zeit später kam der Lokführer sichtlich erregt in den Stellwerksraum: "Gleis 3 kannst du auch sperren, mein Zug steht auf beiden Gleisen und nun Gute Nacht, alles weitere morgen früh!"
Weg war er.
Lothar P. Lief zusammen mit dem Zugführer mit einer Handlampe bewaffnet zum abgestellten Zug.
Ups, das Malheur war da, durch das Umstellen der Weiche und dem sofortigen Zurückstellen gerieten zwei Drehgestelle, also das hintere Drehgestell des vierten Wagens und das vordere Drehgestell des dritten Wagens auf Gleis 3 der Rest des Zuges befand sich vorschriftsmäßig in Gleis 4.
Vier Wagen zu Schrott gefahren, reife Leistung!
"Hätte er mal nicht ein zweites Mal den Taster betätigt, hätte man die Wagen wieder geradeziehen können, so aber geht die Bergung nur mit dem Schneidbrenner", meinte ein Kollege der Bahnmeisterei am nächsten Tag.
Die Konsequenzen für Lothar P. waren mal wieder eine Rüge des Vorgesetzten und diesmal aber 4 Wochen Öleimerdienst im Bahnhof Lübeck Hbf inklusive Seilzugrollen und Spannwerke abschmieren.