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Der Fluch der Akribik, Teil 181
AN AMERICAN IN PASSERING
Passering, von seinen Bewohnern als „Pasring“ ausgesprochen, ist eine kleine Ortschaft zwischen St. Veit an der Glan und Treibach-Althofen und gehört zur Gemeinde Kappel am Krappfeld. Durch Passering muss noch heute fast alles durch, was auf der Schiene von Italien, Ex-Jugoslawien oder Kärnten kommend nach Wien will. Oder von Wien nach dem Süden.
Zum Beispiel dieser Amerikaner hier, an den sich Stammleser dieses Threads bestimmt noch erinnern werden, sofern sie nicht im Laufe meiner gefühlt unzähligen Jahre endloser Güterwagenfrokelei bereits der Demenz anheimgefallen sind (wofür ich vollstes Verständnis hätte):
FARBGEBUNG BEIM VORBILD
Die einsatzfähigen ÖBB-Güterwagen mochten Mitte der 50er Jahre recht gut in Schuss gewesen sein, weil Kriegsschäden behoben wurden, die Wagenkästen abgedichtet wurden und weil viele Wagen bei dieser Gelegenheit auch gleich neuen Lack und neue Anschriften bekamen, vermutlich nicht zuletzt, um den neuen österreichischen Wagenpark z.B. von jenen Fahrzeugen abzugrenzen, die bis 1955 im Fokus sowjetischen Begehrs standen.
Die gedeckten USATC-Wagen hingegen dürften eher ungeliebte Stiefkinder gewesen sein und manche waren schon damals äußerlich recht unansehnlich. Mit „Gx“ (x = Wagen amerikanischer Bauart) beschriftet bzw. mit einem Stern-Symbol (Fahrzeug außerhalb Deutschlands gebaut, Kupplung nicht RIV-konform) versehen waren sie bei den ÖBB um 1955 eher schon Außenseiter.
Ich habe mich jedenfalls entschieden, diesem auf dem oberen Foto mit seinem „güldenen Zierrat“ geradezu im Sonntagsstaat prangenden Gefährt ausnahmsweise ein recht heruntergekommenes Aussehen zu geben:
Aussagekräftige Farbfotos aus den 50er oder 60er Jahren sind mir nicht untergekommen. Auf Schwarzweiß-Fotos wirken die USATC-Wagen auffällig hell.
Die ursprüngliche amerikanische Beschriftung scheint bei uns im Zuge von Neubeschriftungen zum Teil mit der Originalfarbe übermalt worden zu sein, denn man erkennt auf etlichen Schwarzweißfotos im hellen Wagenkasten keinen Hell-Dunkel-Kontrast. Die von Mag. Klein gewählte einheitliche Farbgebung - ohne andersfarbige Rechtecke dort, wo ursprünglich die amerikanische Beschriftung war - dürfte daher durchaus vorbildgerecht sein.
Ich bin im Zweifel davon ausgegangen, dass diese Güterwagen bis mindestens Mitte der 50er ihre originale Farbe behielten – amerikanisches Armee-Oliv. Exakte RAL-Farbe? Völlig egal, die Farben an den Wagen waren bis dahin durch Witterungseinflüsse sowieso deutlich verändert.
FILTERNDES WASH-DRY-CHIPPING
Ein Sonderheft einer Modellbahnzeitschrift gibt sich aktuell alle Mühe, geschickte Anfänger mit allen Mitteln abzuschrecken - auch solche ohne schwäbischen Migrationshintergrund.
Der Autor erzeugt nämlich den Eindruck, als wäre das Bemalen von Modellbahnfahrzeugen ohne teure Airbrush und ohne Kompressor schier unmöglich. Zudem werden Dutzende verschiedene Farben gezeigt, als ob man diese kostspielige Farb-Vielfalt auch tatsächlich bräuchte. Und wer sich dann immer noch nicht kreidebleich unter dem Bett versteckt, stirbt eines qualvollen Todes, denn er wird gnadenlos mit Fachausdrücken erschlagen.
So als ob wir bei einem Hobby, das auf Grund der vielen beim Vorbild verwendeten Fachausdrücke ohnehin nicht ganz einfach zu verstehen ist, auch noch selber zahlreiche unnötig Fachausdrücke für das simple Bemalen von Fahrzeugen generieren müssten.
BEMALEN GENÜGT
Bei mir gibt es das alles nicht. Kein „Washing“, kein „Dry-brushing“, kein „Chipping“, kein „Filtern“, keine speziellen teuren Rostfarben sonder Zahl, keine „Spezialwasalan“, wie die Mitzi sagen würde, sondern – meiner nachlassenden Sehkraft geschuldet - eine Leuchtlupe, eine Küchenrolle, einen Karton als Unterlage, eine billige Palette und Zahnstocher zum Anrühren der Farbe, zwei Marmeladengläser mit Wasser, einige wenige ganz normale wasserlösliche Acryllacke, und dazu lediglich drei verschiedene Pinsel - nichts, was nicht auch ein Student mit kargem Taschengeld stemmen könnte und schon gar nichts, was einen Schwaben in den Suizid treiben müsste.
Ich entscheide mich für den Wagenkasten für ein Gelboliv, Revell Aqua 36142 – etwas heller als die Originalfarbe, etwas ausgebleicht wirkend, matt. Genau richtig für einen 1955 etwa 10 Jahre alten Wagen.
Da mein Wagen dezente senkrechte Regenwasserstreifen bekommen sollte, habe ich die Farbe stark verdünnt in drei Schichten mit einem etwa 1cm breiten Flachpinsel vertikal aufgetragen. Über die Schrift malte ich beim letzten Mal einfach drüber. Die Schrift ist trotzdem prima sichtbar - dies lässt recht gut erahnen, wie stark der Farbauftrag verdünnt wurde.
Die Farbe für die vierte und letzte Schicht hellte ich mit einer Idee Hellgrau etwas auf, sodass sich die Streifen des letzten Auftrages ein wenig von jenen des vorherigen abheben. An manchen Stellen zog ich mit etwas weniger stark verdünnter Farbe abschließend noch ein paar dominantere Streifen. Die Unterkante des Wagenkastens und einzelne Nieten im oberen Bereich erhielten Rostspuren aus stark verdünntem Schwarz, Lederbraun und „Braun“ (bei Revell eine fast ocker aussehende Farbe), alle matt.
Hier noch ein Detailfoto der Rostspuren:
„WERDE ICH NIE IM LEBEN KÖNNEN“ GIBT’S NICHT
Das alles ist keine Frage von Talent oder ruhiger Hand. Mangelndes Talent kann man durch genauestes Analysieren von Vorbildfotos kompensieren und durch Üben. Wenn man kein Übungsobjekt hat, kann man z.B. an den Innenseiten von gedeckten Güterwagen ausprobieren, was man später außen zu tun beabsichtigt. Wer so zittert wie ich, trinkt den Kaffee nachher statt vorher und stützt immer beide Handballen auf einer festen Unterlage auf, und aus ist’s mit der Zitterei.
Passen muss nur, wer auf Grund einschlägiger Behinderungen keinen Pinsel halten kann, trotz Leuchtlupe nicht gut sieht und wer kleine Unterschiede zwischen Vorbild und Modell nicht erkennen kann, also jemand, der z.B. mit Suchrätseln nicht klar kommt.
Also: probier’s aus! Was zum Teufel soll schief gehen, wenn du mit der Innenseite eines gedeckten Güterwagens anfängst, den du nachher wieder zumachen kannst, um deine Schande zu verhüllen?
So, Schluss für heute mit schmutzigen amerikanischen Relikten aus unseligen Zeiten - der kleine „Ami“ wandert nun in meinen endgültigen Güterwagenpark.
Und ich begebe mich ins Strandbad, denn am Wörthersee ist der Sommer ausgebrochen.
Liebe Grüße
Euer Karl