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Der Fluch der Akribik, Teil 184
GEBRAUCHSSPUREN AUF GÜTERWAGEN – TEIL 1: ERSCHWINGLICHES WERKZEUG
Schlechte Nachrichten. Weiterhin wird Güterwagen um Güterwagen neu bemalt. Wochenlang noch, vielleicht monatelang, bis wir alle wieder Gleise sehen werden. Schwere Zeiten, besonders für Jan Willem!
Damit bis dahin wenigstens einem unter euch nicht zum Erbrechen fad wird, hier nun exklusiv für Wolfgang44: Die versprochene Schritt-für-Schritt-Beschreibung!
Wer nicht Wolfgang44 heißt, schließt bitte an dieser Stelle seinen Browser, denn diese Beschreibung ist ausschließlich für ihn bestimmt und für niemanden sonst. Naja, ehrlich gesagt, wenn jemand trotzdem heimlich hinter meinem Rücken mitlesen will, oder gar im Dunkeln unter der Bettdecke, habe ich natürlich nur sehr geringe Chancen, das zu bemerken oder gar zu ahnden...
Die heutige Überschrift ist bewusst gewählt: ich „altere“ oder „patiniere“ nicht, sondern ich lasse meinen Wagen der jeweiligen Einsatzdauer und dem jeweiligen Erhaltungszustand entsprechende Gebrauchsspuren angedeihen.
Auch nagelneuen Fahrzeugen. Denn auch wenige Tage alte, fabrikneue Wagen sehen nicht so aus wie aus der Modellbahnhersteller-Schachtel. Da ist nicht nur spielzeughafter Plastikglanz zu beseitigen. Nagelneue Wagen können beispielsweise grellorange, rostfarbene Radreifen haben. Oder sie können binnen weniger Tage deutliche Schmutzspuren aufweisen. In den 50er und 60er Jahren konnten nagelneue offene Wagen schon nach wenigen Tagen weiß bekleckert aussehen, weil sie Kohle transportierten. Weiß verdreckt vom Kohlen-Transport? „Da Koal is schon wieda bsoffn oda der spinnate Lota is hiaz komplett teppat wuan“, würde die Mitzi wahrscheinlich meinen. Tatsächlich hat man Kohlenladungen manchmal mit Kalkwasser überspritzt. Mit dieser einfachen Methode konnte man dem Empfänger der Ladung Kontrolle darüber verschaffen, ob unterwegs Kohle geklaut worden war oder nicht. Oder: schon eine einzige Schrott-Ladung war geeignet, die Blechwände eines neuen Wagens zu zerkratzen und Rostspuren zu hinterlassen.
Ich möchte nicht rostzerfressene, löchrige „Geisterwagen im Endstadium der Verwesung“ herstellen, wie sie beim Vorbild eigentlich nur auf Schrottplätzen oder auf dem Transport dorthin vorzufinden sein sollten, auch wenn solche Fahrzeuge auf Modellanlagen verführerisch malerisch-interessant aussehen können. Überwiegend werden es bei mir solche, die technisch gut in Schuss sind und – je nach Einsatzzweck – mehr oder weniger dezente Betriebsspuren erhalten. Wo bei solchen Vorbildwagen etwas Rost auftrat, kommt natürlich auch bei meinen Wagen etwas Rost vor.
Farben und Werkzeug
Grundsätzlich ist jede gute Acrylfarbe geeignet. Dabei sollte man zwei Dinge beachten, über die in diversen Foren von selbsternannten "Experten" manchmal höchst Seltsames verbreitet wird, manchmal sogar in offenkundig wettbewerbsverzerrender Absicht:
Acrylfarbe ist meistens nicht alt oder kaputt, bloß weil sie dickflüssig aus ihrem Behältnis kommt. Der Hersteller ist deswegen noch lange kein Gauner. Sie muss deswegen nicht weggeworfen und unbedingt durch ein anderes, von einem nahen Verwandten eines solchen „Experten“ vertriebenes Produkt ersetzt werden, sondern sie muss meistens nur verdünnt werden.
Bei nicht wasserlöslichen Acrylfarben nimmt man als Anfänger besser nicht irgendeinen Verdünner, sondern unbedingt den vom Hersteller empfohlenen. Besser ein teurer Verdünner als ein noch teureres verdorbenes Modell.
Ich verwende überwiegend Revell-Farben. Nicht weil ich mit Herrn Revell verwandt oder verschwägert wäre oder weil seine Tochter möchte, dass ich mich von meiner Frau scheiden lasse, sondern weil das einzige noch einigermaßen ernstzunehmende Hobbygeschäft in meiner Gegend ausschließlich Revell-Farben führt. Jede andere gute Farbe mit feinen, Airbrush-geeigneten Pigmenten geht natürlich auch.
„Kunst“ kommt von „
Können“, sagt man, und nicht von „
Hunderte Farben kaufen“ – sonst würde es ja wahrscheinlich „Hunst“ heißen.
Einige wenige Farben müssen daher reichen. Mit diesen neun Farben hier finde ich, wenn ich Güterwagen bemale, gewöhnlich das Auslangen:
… Ziegelrot matt für Wagenkästen der DB, der FS und der ÖBB
Beige matt für Wagenböden, Trittbretter und für die Innenseiten offener österreichischer Güterwagen
Schwarz matt für Dächer, Verunreinigungen, altes Öl und zum Abdunkeln anderer Farben
Schwarz glänzend für frische ölige Verunreinigungen
Teerschwarz matt für nicht mehr ganz neue Anstriche von Fahrgestellen
Braun matt für grellen Rost
Hellgrau matt für Blechdecher
Weiß matt für Spuren von Kalk und von anderen hellen Ladungen, für Bremsumsteller, zum Ausbessern von Beschriftungen, für Zettel, für Wagenecken, für die Innenseiten offener deutscher Wagen, und zum Aufhellen von anderen Farben
Ich bin schon mehrfach gefragt worden, was denn das für eigenartige blaue Behälter sind, die ich hier verwende. Nun, das liegt daran, dass ich nicht eines wunderschönen verregneten Wochenendes meine Hobbyaktivitäten urplötzlich zwangsweise einstellen möchte, weil mir eine wichtige Farbe ausgegangen ist. Wenn ich, wie gerade eben jetzt, eine größere Serie von Wagen bearbeite, habe ich alle diese Farben doppelt vorrätig, besonders häufig verwendete wie Lederbraun und Teerschwarz sogar dreifach. Um angebrochene Farben nicht mit neuen zu verwechseln, ziehe ich bei angebrochenen Farben einfach die seitlichen Aufkleber ab:
Links: neue Farbe, rechts: angebrochene Farbe. - Kleine Farbpunkte auf den Behältern zeigen mir die richtige Farbe des Inhaltes an.
Einige leere Behälter werfe ich nicht weg, sondern ich reinige sie sorgfältig und verwende sie für fertige Mischungen. Hier drei solcher Behälter mit Farb-Vorräten für Güterwagen der ÖBB und der DB sowie ganz links meine Grundfarbe für Wagenräder, eine Mischung aus Schwarz und Lederbraun:
Die Farbe für DB- und FS-Güterwagen mische ich aus ungefähr zwei Teilen Ziegelrot und einem Teil Lederbraun, die ÖBB-Farbe besteht aus ungefähr zwei Teilen Lederbraun und einem Teil Ziegelrot.
"Ungefähr" genügt mir völlig. Denn nicht mehr ganz neue Anstriche zeigten früher selten exakt den RAL-Ton, wie er aus der Dose kam, schon weil Farben früher nicht so lichtecht waren wie heute. Wenn dann noch Schmutz hinzukam, hatte der exakte RAL-Ton bestenfalls einen theoretischen Wert. Das wurde besonders augenfällig, wenn beim Vorbild ein Güterwagen, der bereits eine Zeit lang gelaufen war, mit der Originalfarbe ausgebessert wurde. Die unterschied sich dann krass vom alten Anstrich und stach richtig hervor, siehe der linke der beiden G10 auf dem Titelbild
dieses (für Güterwagenfrokler übrigens sehr empfehlenswerten) Buches. Den exakt richtigen RAL-Ton brauche ich daher gar nicht. Sehr ähnliche, im Zweifel etwas hellere Farben genügen mir als Grundanstrich.
Zu meinen neun Standardfarben für Güterwagen kommen bei Bedarf gelegentlich noch einige wenige weitere für grüne Dienstwagen, olivgrüne USATC-Fahrzeuge, Tankwagen usw. Diese seltener verwendeten Farben kaufe ich gewöhnlich erst kurz bevor ich sie verwende.
Wenn Bremsumstellhebel rot einzufärben sind, benötige ich nicht unbedingt eine weitere Lackdose – lichtechte Filzstifte tun es auch.
Wichtig ist mir persönlich noch ein kleiner Behälter mit fein zerstoßenem hellem Rostpulver:
Geringe Mengen genügen, um ein wenig Flugrost an Fahrwerken und auf Wagenböden darzustellen. Hat man ein etwas neueres Auto als ich, kann man statt Rostpulver natürlich auch Pulverfarben nehmen.
Für die Nachbildung von Kreideaufschriften verwende ich diesen billigen Zeichenstift mit weißer Tusche, den ich schon einmal hier vorgestellt habe:
Anders als hochwertige Rotring-Stifte kleckert er manchmal ein wenig, aber für meine Zwecke genügt er völlig. Gelingt eine Aufschrift nicht gleich, kann man schnell die Tusche abwischen und es neuerlich versuchen.
Zum Anrühren der Farben verwende ich eine billige Kunststoffpalette. Farbreste lasse ich eintrocknen und schabe sie vor dem nächsten Einsatz mit einem weichen, nicht zu scharfkantigen Stück Holz heraus. Harte Gegenstände verwende ich zum Reinigen nicht, es sollen ja in der Palette möglichst keine Kratzer entstehen. Kratzer nehmen Farben auf, die sich kaum mehr entfernen lassen.
Zum Anrühren verwende ich weiche Holzstäbe (abgelängte Schaschlick-Spieße, Zahnstocher) oder aktuell diese Bastelhölzer links im folgenden Bild:
Wer feinste Arbeiten ausführen will, braucht nicht unbedingt einen besonders kleinen, sondern einen besonders spitzen Pinsel. Mit den beiden hier abgebildeten Pinseln finde ich gewöhnlich das Auslangen - ein Pinsel der Größe 3, 4 oder 5 mit perfekt zulaufender Spitze, und ein weicher Borstenpinsel ungefähr in der Breite von Blechdachabschnitten, also zirka einen Zentimeter breit.
Der relativ große spitze Pinsel hat neben dem besonders dünnen Strich den Vorteil, dass er, wenn man ihn gut auswischt, rasch viel überschüssige Farbe aufsaugen kann.
Wichtig ist mir die im Bild erkennbare Pipette. Ich verwende sie nicht zum Dosieren der Farbe, denn ich verwende, wie schon erwähnt, sowieso kaum reine RAL-Töne. Ich brauche sie, um Wasser tropfenweise zuzugeben, um das für mich richtige Verhältnis Farbe zu Verdünnungsmittel zu erzielen.
Als Unterlage für die Fahrzeuge verwende ich einen festen Karton. Obenauf kommt ein doppelt gefaltetes Stück Küchenrolle, um die Modelle zu schonen und um eventuell verloren gegangene winzige Zurüstteile auf diesem Hintergrund gut sehen zu können:
Ein weiteres, vierfach zusammengelegtes Stück Küchenrolle dient zum raschen Ausstreifen der Pinsel.
Wenn ich Güterwagen lackiere, muss ich Teile abnehmen – Achsen zum Beispiel oder Zettelhalter. Manchmal brechen auch Teile ab. Wenn mehrere Wagen unterschiedlicher Hersteller gleichzeitig in Arbeit sind, besteht Verwechslungsgefahr. Darum habe ich auch immer einen kleinen (ca. 13 x 6 x 2 cm) Sortierkasten vor mir stehen:
Dazu kommen noch ein paar Kleinigkeiten zum Abkratzen oder Verwischen von Farbe, die sowieso in jedem Haushalt vorhanden sein sollten, wie Zahnstocher und Wattestäbchen.
Optional und mit etwa 70 bis 100 Euro (inklusive Versand) leider nicht ganz billig: eine große Lupenleuchte, die meine nachlassende Sehkraft ausgleicht:
Klar soweit?
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So, das war’s für heute. Diese Schritt-für-Schritt-Beschreibung exklusiv für Wolfgang44 werde ich in loser Folge fortsetzen. Alle anderen haben dann die einmalige Chance, sich an dem einen oder anderen Freitag ein wenig von mir zu erholen…
Liebe Grüße
Euer Karl