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Der Fluch der Akribik, Teil 170
NEUE NACHRICHTEN AUS DEM ZENTRUM DES MODELLBAHNERISCHEN IRRSINS
Liebe Stummis,
einmal öfter zähle ich auf eure Diskretion. Ich habe nämlich die ganze Woche Bretter gestapelt. Hunderte Vier-Meter-Bretter.
Nun, das allein wäre nicht das Problem. Aber ich habe meiner Frau nicht gesagt, wie groß die Bretter tatsächlich waren. Jetzt glaubt sie, ich hätte mich körperlich ertüchtigt und freut sich auf meine Sixpacks… 1)
Tatsächlich bin ich H0fine auf die Schliche gekommen. H0fine bietet nämlich in höchst irreführender Weise „Lindenholzstreifen für Wagenböden“ an.
Tatsächlich aber ist das ganz etwas anderes, nämlich exakt maßstäbliche Fichtenbretter. Keine Bohlen, wie von anderen Anbietern, sondern richtige H0-Bretter mit einer Materialstärke von 0,3mm und einer Breite von 2,2mm entsprechend einer Stärke von rund 2,5cm und einer Breite von knapp 20 Zentimetern beim Vorbild.
Meines Wissens ist H0fine momentan der einzige Anbieter solcher „richtiger“ Bretter, und ich habe sie aufgespürt, auch wenn H0fine den suchmaschinengerechten Begriff „Bretter“ in der Produktbeschreibung so penibel vermeidet, als wolltet man sich mit allen Mitteln vor zudringlichen Kundenanfragen aus der Akribik schützen…
Wie auch immer, ich habe diese fabelhaften Bretter also aufgespürt und ich habe daraufhin meine früher gezeigte Bohlen-Ladung in die Bastelkiste geworfen. Jetzt kommen RICHTIGE Bretterladungen in meine Wagen!
Wie Monsier Nouaillier hinlänglich bewiesen hat, zählt Polystyrol zu den besten Materialien, um Holz nachzubilden. Für Bretter- oder Bohlenladungen dürfte „richtiges“ Holz aber weiterhin unübertroffen sein. Ich schnitt also die H0fine-Streifen zunächst einmal in handelsübliche 4-Meter-Bretter. Einfach mit dem Cutter und mit Hilfe zweier dünner Linien, die ich im Abstand von rund 46 Millimetern auf meine Schneidunterlage aufgetragen habe. Mit dem Inhalt einer Packung kann man auf diese Weise schon einen recht ansehnlichen Bretterhaufen erzeugen:
Insgesamt habe ich mehr als drei Packungen verbraucht. Seitdem habe ich vom Schwaben in mir nichts mehr gehört. Hoffentlich hat er nicht eine Überdosis Schlaftabletten genommen, spätestens als er erfuhr, dass ich die Bretter auch nicht weiter zerschnitten habe, um in der Mitte Material zu sparen.
Da diese winzigen Bretter sich benehmen wie dünne Kartonstreifen (sie neigen zum Durchhängen, insbesondere wenn sie feucht sind vom Leim, und sie lassen sich schwerer positionieren als Bohlen), habe ich darauf verzichtet, sie weiter zu zerschneiden. Die finanzielle Einsparung wäre gering gewesen, der Zeitaufwand wäre erheblich angestiegen.
Ein Stück Karton schnitt ich so zu, sodass es genau in den Wagen passt. Der Karton wird von H0fine in weiser Voraussicht gleich mit den Brettern mitgeliefert. So als wüsste man in Wannweil eh, dass diese Bretter gewöhnlich als Ladegut gestapelt werden, und nicht, wie vorgesehen, auf Wagenböden gepickt [picken: österr. für kleben].
Auf diesem Karton also will ich zwei Bretterstapel andeuten. Zwei Lagen sollten reichen, um den Karton von oben völlig unsichtbar werden zu lassen. Bevor ich mit dem Aufkleben der Bretter beginne, schneide ich, einer alten Anleitung folgend, den Karton im Bereich zwischen den beiden Stapeln großzügig aus, damit man ihn später nicht erspähen kann. Wie sich beim ersten probeweisen Einsetzen aber unerbittlich zeigt, eine Maßnahme, die ich mir hätte sparen können, da man unter den mittleren Stapel sowieso nicht hineinsehen wird. Immerhin, diese Ausschnitte erleichtern anfänglich wenigstens das Herausnehmen des Ladegut-Einsatzes.
Nun beginne ich mit dem erwähnten mittleren Stapel, der auf den beiden ersten aufliegt. Die Bretter wurden früher beim Vorbild von Hand aufgelegt, liegen daher bei diesem Stapel vorbildgerecht etwas unregelmäßig und schließen keinesfalls in EINER Linie ab, als hätte die Mitzi-Tant‘ einen Stapel Spielkarten so auf dem Küchentisch zurechtgeklopft, dass immer eine Spielkarte ganz genau auf der anderen liegt:
Auf der Unterseite sieht das so aus:
Geklebt habe ich die Bretter mit einem wasserlöslichen No-Name-Leim, den ich im Verhältnis 1:1 mit Wasser verdünnte. Der verdünnte Leim lässt sich mit dem Pinsel besser positionieren als ein unverdünnter, zähflüssiger. Das Holz saugt allerdings den verdünnten Leim begierig auf, weshalb ein einmaliger Auftrag zeitweilig nicht ausreichte und ich zwei Schichten Leim auftragen musste.
Die richtige Höhe erreiche ich mit einem Stück Austrotherm, das ich mit ein paar schnellen Schnitten mit dem Cutter zuschneide. Wer die Farbe Rosa nicht ausstehen kann, z.B. weil er in seiner Kindheit von skrupellosen Verbrechern gezwungen wurde, sich den Film „Traumschiff Surprise – Periode 1“ anzusehen, dem steht es natürlich frei, einen beliebigen Hartschaum einer beliebigen anderen Farbe eines beliebigen anderen Herstellers zu wählen:
Da ich das gesamte Stück mit dem Messer freihändig nicht exakt plan zu schneiden in der Lage bin, achte ich nur darauf, dass die beiden Enden exakt zugeschnitten sind. Den Bereich dazwischen trage ich ein wenig ab, sodass der Styrodur-Block nur an den Enden aufliegt:
Oben wird der Stapel abgeschrägt. Die Deckbretter sind,anders als bei meinem ersten hier gezeigten Bohlen-Stapel, wie beim Vorbild überlappend aufgelegt, damit im Falle eines Regens möglichst wenig Wasser in den Stapel eindringen kann. Sicher ist sicher, auch wenn es in meinem Moba-Raum offen gestanden nur ganz selten regnet…
Auf jeder Seite werden nun zwei kürzere Bretter senkrecht eingesteckt und an den Stapel angeleimt. Bretterstapel etwas anheben, Position mit dem Bleistift anzeichnen, Stapel ganz herausheben, senkrechte Bretter entlang der Bleistiftlinie ankleben, den Leim trocknen lassen und den Vorgang an der gegenüberliegenden Seite wiederholen.
Der Wagen wartet nun nur noch auf Post von Kotol. Denn bei Kotol habe ich, einer Empfehlung Randolfs folgend, kürzlich zu Vergleichszwecken die maßstäblichen grauen „Drähte“ bestellt, die ich noch über die Ladung spannen werde. Vorschrift ist Vorschrift!
Hier nun der fast fertige Omm37 mit Bretterladung:
Die Bretterladung verbirgt nun die Malerei auf der Innenseite fast völlig. Insbesondere die Tür-Innenseiten sind gänzlich verschwunden. Diese Malerei war aber ohnehin nur als „Probegalopp“ für die Bemalung von leeren, innen plastisch durchgestalten offenen Wagen gedacht.
Offen gestanden ist der Effekt der maßstäblichen Bretter ein wenig so wie eine exakt im Maßstab 1:87 durchgestaltete Unterseite eines Wagens – man nimmt ihn nicht ohne entsprechende Hinweise wahr, der Modellbauer hat aber natürlich trotzdem seine Freude damit.
Indes: Wer aus Zeit- und Kostengründen lieber doppelt so dicke und etwas breitere Holzstreifen nimmt, ist damit keineswegs vorbildwidrig unterwegs, denn selbstverständlich transportiert die Bahn auch Bohlen.
STEYR 80a - ENTWARNUNG
Vielen Dank, ich benötige keinen Steyr 80a mehr. Mario war so freundlich, mir ein allerletztes Exemplar mitzubringen, das ein österreichischer Händler gottlob nicht im Internet anbot – sonst wäre er sicherlich schon lange weg gewesen. Der 80a, nicht der Händler. Obwohl Händler natürlich gute Chancen haben, auch bald weg zu sein von der Bildfläche, wenn sie glauben, das Internet noch immer nicht als Verkaufsschiene ernst nehmen zu müssen.
Nächste Woche wieder geht es wieder etwas gemütlicher zu – ich muss nicht mehr gnadenlos hunderte Bretter schlichten und mir dabei womöglich einen Muskelkater zuziehen.
Liebe Grüße
Euer Karl
1) Ein weiser Mann soll einmal gesagt haben: „Wer braucht schon Sixpacks, wenn er ein ganzes Fass haben kann…“