.
Der Fluch der Akribik, Teil 318
DEUTSCHE STAATSBÜRGERIN MIT ÖSTERREICHISCHEM WOHNSITZ, TEIL V
Zunächst einmal schlage ich vor, wir ernennen den heutigen Samstag kurzerhand zum Freitag, damit ich meinen stark verspäteten Bericht trotz allem zeitgerecht liefern kann. O.k., ich gebe es zu, dieser Trick ist nicht meine Idee, ich habe ihn mir von den ganz Großen der Politik abgeschaut…
Zurück zur 86er. Nun geht es an die finale Farbgebung. Da die Maschine ja sowieso ab Werk lackiert ist, benötigt sie keine neuerliche Grundierung, finde ich. Die Räder nehme ich zuerst dran, sie erfordern Zeit. Denn mir werden immer wieder freudestrahlend gegen nicht wenig Geld von Professionisten „perfekt gealterte“ Modelle gezeigt, deren Räder etwa so aussehen (linkes Rad):
Hmmm… was sagt man dazu, ohne dem begeisterten Besitzer des Modells die Freude am Hobby zu verderben?
Für mich persönlich ist das ein No-Go. Dort nämlich, wo der meiste Dreck sein müsste, das ist innen an den Speichen, leuchtet fröhlich sauberes Rot hervor, während die Räder außen schwarz sind. Umgekehrt wär’s schon eher plausibel, nämlich innen verschmutzt und außen saubergewischt.
Bei meiner 86er sollen alle Räder völlig schwarz werden - wie das rechte Rad im Foto oben. Ich bevorzuge den Pinsel. Ich will keine gleichförmig langweilig und vorbildwidrig luftgepinselte Fläche, sondern geringfügig unterschiedlich aussehende schwarze Streifen radial von innen nach außen - genau so, wie sich beim Vorbild Schmutz und Nässe auf sich drehenden Rädern verteilen. Ich nehme mir also mehrere Stunden Zeit, die Räder Speiche für Speiche mit stark verdünnter Farbe in mehreren Schichten zu lackieren, bis die Farbe einwandfrei deckt, auch innen an den Speichen, wo sich gewöhnlich der meiste Schmutz ablagert. Das sommerliche Wetter begünstigt diese Arbeit. Habe ich eine Seite fertig bemalt, ist die andere schon wieder trocken und ich kann ohne Pause fortsetzen.
Um die Räder beim Malen drehen zu können, habe ich die Maschine auseinandergenommen und den Oberteil samt Motor abgeschraubt:
Die Motorschraube habe ich nicht gelöst. Dank der Kontaktfedern kann man den Motor samt dem Oberteil abnehmen oder aufsetzen. Das Verhalten dieser Federn wird allerdings im Betrieb zu beobachten sein. Wäre nicht der erste Motor, bei dem ich die Kontaktbleche irgendwann gegen gelötete Verbindungen ausgetauscht hätte.
Den „Galgen“, der die Innenbeleuchtung trägt, habe ich während der Lackarbeiten mit einem Klebestreifen fixiert, damit er nicht herunterfallen und an den beiden dünnen Drähtchen (eine vermutlich von LeoSoundLab stammende Änderung gegenüber dem Originalmodell) baumeln kann.
Die mattschwarze Revell Aqua-Farbe 36108 hat eine bemerkenswerte Eigenschaft: träufelt man sie stark verdünnt auf eine feuchte Fläche, so trocknet sie mit interessanten Strukturen hellgrau auf. Ich mache mir diese Eigenschaft zunutze und ahme auf diese Weise Kalkablagerungen oben auf den Wasserkästen nach. Mit glänzendem Schwarz und glänzendem Mattlack imitiere ich zudem „übergepritscheltes“ Wasser.
Die ganze Maschine streiche ich mehrmals, immer von oben nach unten – immer in der Falllinie des Regenwassers beim Vorbild. Beim Pinselauftrag bilden sich durchaus vorbildgerechte Flecken, die man mit einer Airbrush in dieser Form mit vertretbarem Zeitaufwand schwer nachahmen könnte.
Decals werden nicht benötigt. Die Schrift spare ich bei den ersten Farbaufträgen einfach aus. Die Beschriftung wurde beim Vorbild, wie man auf vielen Fotos auch deutscher „Dampfer“ erkennen kann, immer wieder – vermutlich mit öligen Fetzen – abgewischt. Beim Aussparen der Beschriftung entsteht auch im Modell der Eindruck einer von Zeit zu Zeit mit einem Tuch rasch gereinigten Fläche. Damit der Kontrast zur verschmutzten Umgebung nicht zu hart wird, male ich abschließend mit stark verdünntem Schwarz oder stark verdünntem Lederbraun auch über die Schrift.
Einige Warnpfeile übermale bzw. ergänze ich. Die 86.241 hatte im Laufe der Zeit unterschiedlich angebrachte Warnsymbole. Auf den Fotos Mitte der 50er Jahre fehlte beispielsweise der Warnpfeil vorne außen am Wasserkasten, stattdessen hatte die Maschine Warnpfeile vorne oberhalb des Trittes.
Abschließend trage ich mit einem weichen kleinen Flachpinsel im Bereich des Fahrgestells und im unteren Bereich des Kessels, des Führerhauses und der Wasserkästen ganz wenig dunkelbraune Staubfarbe auf. Einige Rohre hebe ich durch geringfügig abweichende Farben ein wenig hervor. Mit Rostfarben gehe ich sparsam um. Die 86.241 wurde zwar schon 1935 von den Schichau-Werken geliefert, aber mit ihren 20 Dienstjahren zählte sie 1955 noch nicht zum alten Eisen. Auf den zeitgenössischen Fotos macht sie einen recht gepflegten Eindruck. Ich verzichte also darauf, sie durch Altern älter zu machen, als sie damals war.
Die Lokmannschaft schneide ich passgenau zu. Um die Figuren beim Bemalen dennoch gut halten zu können, klebe ich sie einfach auf flache Hölzchen – hier ein kleines Rührstäbchen:
Wenn sie fertig bemalt sind, bekommen die Gesichter und die Hände noch eine Schicht dunkle Staubfarbe, die ich anschließend sorgfältig wieder abwische. Etwas Staubfarbe bleibt in den Vertiefungen haften, dadurch wirken die Gesichter und die Extremitäten etwas plastischer. Abschließend trenne ich die Figuren mit dem Cutter wieder vom Hölzchen ab.
In den Tender kommt noch eine Schicht echte Kohle. Ich verwende dabei nicht die von manchen Herstellern mitgelieferte Kohle recht einheitlicher Körnung. Ich bevorzuge unterschiedlich große Brocken, die ich gewinne, indem ich ein Stück Lokomotivkohle in ein Tuch wickle und auf einer geeigneten Unterlage mit dem Hammer zerschlage. Allerdings glänzt die Kohle zu stark - oder besser gesagt, der zum Kleben verwendete Holzleim, wie ich jetzt auf den Fotos sehe. Ich werde diesen Effekt bei der 86er mit etwas mattschwarzer Staubfarbe mildern und künftig einen anderen Kleber verwenden.
Vorher - nachher
Hier nun nochmals das unbehandelte Roco-Modell …
… und die die fertige Maschine aus ähnlicher Perspektive.
Während der Foto-Session hatte ich Besuch von einer höchst interessiert wirkenden kleinen Ameise. Auf dem Foto oben überprüft sie gerade die Stabilität des linken vorderen Haltegriffs.
Abschließend noch eine stark vergrößerte Ansicht der linken Seite:
Damit beende ich meine Arbeiten an der Roco 86er. Nächste Woche wenden wir uns wieder anderen Dingen zu. Zum Beispiel meinem jetzt acht Monate alten Enkel und dem Thema "Kindersicherheit".
Liebe Grüße
Euer Karl