RE: Stellwerkkontraste

#1 von Brillenhuber , 14.05.2016 06:29

Hallo
Letzthin hatte ich im Abstand von wenigen Tagen die Möglichkeit die grössten Gegensätze in der Stellwerktechnik anzusehen.
Am 29 April wurde die Betriebszentrale Olten besichtigt. Die wurde letztes Jahr nach und nach in Betrieb genommen.
Bis Ende 2016 sollen praktisch alle SBB Linien von den 4 Betriebszentralen: Ost im Flughafen Zürich, Mitte in Olten, Süd in Polleggio, und West in Lausanne, ferngesteuert werden.

Die SBB bietet gratis Führungen in den BZ an. Ausnahme ist das BZ Ost, weil das im Sicherheitsbereich des Flughafens Zürich liegt.
Wer Interesse hat, schaue hier:
https://www.sbb.ch/freizeit-ferien/tages...szentralen.html

Das Gebäude in Olten wurde neu erstellt:


Vorher musste aber die alte Lehrwerkstatt der Hauptwerkstätte Olten weichen. Die wurde am 15. August 2012 gesprengt:






Die Sprengung fand um 0.35 statt und der Zugsverkehr wurde lediglich 20 Minuten lang unterbrochen: Der letzte Güterzug fuhr um 0.30 durch und der nächste bereits um 0.50 Uhr.

Nun, heute siehts anders aus.

Hier ein (Test-) Arbeitsplatz eines Zugverkehrsleiters:


Mit den ILTIS Bildschirmen. Rechts oben der Bahnhof Ziegelbrücke.


Rechts die Fahrplanbildschirme des Rail Control Systems:
Die dünne, horizontale Linie zeigt die aktuelle Zeit an und wandert mit.


Das Fahrplansystem vergleicht jeweils Soll- und Ist-Zustand. Konflikte werden frühzeitig erkannt und können in Ruhe gelöst werden.
Hier ist auch die Möglichkeit vorhanden, zur adaptiven Zugslenkung. Das heisst dem Lokführer wird die optimierte Fahrgeschwindigkeit mitgeteilt, damit er keine Signalhalte hat.
Wers genauer wissen will:
http://it15rail.ch/downloads/presentatio...DL_IT13rail.pdf

Hier nochmals eine Übersicht über den Arbeitsplatz:


Die Bezirksverteilung sieht so aus:

Es bestehen die Bezirke Pilatus, Gurten, Mittelland, Südbahn, Aare und Birs.

Die Bezirke sind dann weiter unterteilt in einzelne Korridore. Wie zum Beispiel in Bözberg, Brugg und Freiamt im Sektor Südbahn.

Die einzelnen Bezirke sind etwa so angeordnet, wie die Züge laufen. Im Bild gut sichtbar die West – Ost Transversale rot und die Nord Süd Achse blau:


Das technische Zentrum (TEZ) befindet sich ebenfalls im Raum. So sind kurze Wege bei Störungen gewährleistet.

In der Mitte ist die HOT Zone. Dort befinden sich im Störungsfall die Entscheidungsträger.

Bei Störfällen tritt ein eigenes Szenario in Kraft. Die Entscheidungsträger ziehen, je nach Funktion farbige Westen an. Somit ist für jedem im Raum klar, wer für was zuständig ist. Eine Reportage findet sich hier:
http://www.limmattalerzeitung.ch/limmatt...en-an-128919149

Etwas kommt auch noch hinzu: In der Schweiz ist in den Fahrdienstvorschriften festgehalten, dass bei Abweichungen vom Normalbetrieb zwingend Checklisten ausgefüllt werden müssen.
Laut Aussage des Führers ist das auch so umgesetzt. Man ist sich bewusst, dass unter Umständen die Ausfüllung einer Checkliste einen Zeitverlust bedeutet, gibt aber dem Sicherheitsgewinn durch die Listen den Vorzug.

Grundsätzlich ist zu sagen, dass diese Einteilung flexibel ist: Sollte ein BZ ausfallen, kann jedes BZ jede Station bedienen. Auch in den Bezirken ist man flexibel: je nach Tageszeit und Auslastung werden dem Zugsverkehrsleiter mehrere Korridore zugeteilt.

Nachher gings dann zuerst mal in den Keller zur Energieversorgung. Dort waren die 2 Generatoren zu sehen:

Die Stromversorgung ist natürlich redundant ausgelegt, das heisst die Netzanspeisung erfolgt von zwei Seiten. Und dann kommt noch die Notversorgung über die Diesel dazu. Laut unserm Führer sollen die Notstromgruppen den Betrieb für 72 Stunden sicherstellen.


In den Rechnerraum unter dem Kontrollraum konnte man auch reingucken. Im Kontrollraum befinden sich aus Lärm- und Klimagründen keine Rechner.


Die Raucherecke auf dem Dach ist selten schön gelegen




Rechner erzeugen Wärme. Daher ist die Lüftungszentrale nicht von schlechten Eltern:


Und nun kommt der grosse Moment:
Der Blick in den Kontrollraum:


Im Vordergrund der Bezirk Gurten (Bern und Umgebung)

Der Zugverkehrsleiter hat links oben einen Bildschirm mit Kamera eingeschaltet: Das ist eine Station mit Gruppenausfahrsignalen in der Kreuzungen stattfinden. Mit der Kamera überwacht er das Geschehen.


Probleme werden diskutiert:


Nach dieser Besichtigung, die ich jedem empfehlen kann, sehe ich durchaus die Vorteile dieser Zentralisierung. Ich glaube, dass mit der Arbeit im Team die Sicherheit durchaus wächst. Man kann jetzt spintisieren, was geschehen wäre, wenn ein gewisser Fahrdienstleiter in so einem BZ die Ersatzsignale gegeben hätte.
Dass bei Problemen jederzeit eine Ansprechperson greifbar ist, kann nur von Vorteil sein.

Und nun das Kontrastprogramm:
In Biel Rangierbahnhof (Biel RB), sozusagen fast in Sichtweite von Olten, befinden sich die zwei letzten mechanischen Stellwerke auf dem Netz der SBB. Auch sind hier die letzten Formsignale zu bewundern.
Grund genug das sich mal anzusehen.

Das Stellwerk befindet sich bei der Haltestelle Biel Mett, so dass man völlig legal zur Ausfahrgruppe kommt.
Zu sehen ein Semaphor- Ausfahrsignal und zwei Rangierverbotssignale in der Stellung „Rangieren erlaubt“.
Die Rangierverbotssignale heissen übrigens im Jargon „Sagbock“ (Sägebock) und ist das einzige Signal das ich kenne, das von beiden Seiten gilt!


Hier zwei weitere Semaphore und ein geschlossener Sagbock:

Aufgrund des hohen Grases in der bewirtschafteten Wiese habe ich auf eine Aufnahme von vorne verzichtet. Was aber nicht ist, kann noch werden!

Freundlich wie man ist, habe ich mich vor dem Betreten der Wiese beim Stellwerker vorgestellt und ihn um Erlaubnis gefragt, sie zu betreten. Diese wurde auch anstandslos erteilt.

Nach den ersten Bildern hat er mich dann gefragt, ob ich das Stellwerk besichtigen wolle.
Natürlich wollte ich.


Vorne die Hebelbank mit den blauen Weichen- und den roten Signalhebeln. Die braunen Kästen im Hintergrund sind die Magnete der Gleisbelegung. Die verhindern das Umlegen der Weichen unter dem Fahrzeug. Die Umgehung ist unter der plombierten Klappe mit Zählwerk.

Der Gleisplan. Interessant ist, dass die Semaphore als Lichtsignale dargestellt werden.


Der Bahnhofsblock. Hier wurde vom Befehlsstellwerk die Freigabe für die entsprechende Fahrstrasse gegeben. Unten die Fahrstrassenhebel. Die konnten nur gezogen werden, wenn die Freigabe vom Befehlsstellwerk da war, und alle Weichen in der richtigen Lage waren. Der Fahrstrassenhebel verschliesst einerseits die Weichen. Ein Umlegen der vom entsprechendn Fahrstrassenhebel ist dann nicht mehr möglich. Andererseits gibt er dann den Signalhebel frei, der wiederum den Fahrstrassenhebel verschliesst, wenn das Signal auf Fahrt gestellt wird.

In den Aufsätzen über dem Holzteil befinden sich Wecker. Die klingeln, wenn eine Freigabe erfolgt. Da die Einfahrten von Lausanne aus gestellt werden, ist ein Teil des Bahnhofblocks ausser Betrieb.


Die Signalhebel: 4 Sagböcke und 2 Semaphore werden von hier aus gestellt:

Bei den Semaphorhebeln sind an der Drahtseilscheibe unten flache Zähne zu sehen: Diese sind für die Umkehrsperre. Damit wird ein nur teilweises Ziehen des Signals verhindert, das zur Umgehung des Blocks benützt werden könnte. Sobald der Signalhebel vor der Endlage wieder zurückbewegt wird, spannt sich ein federbelasteter Winkelhebel, der dann das zweite Ziehen verunmöglicht.
Teilauschnitt der Fahrstrassenbank. Ganz rechts die Zustimmung zum andern Stellwerk. Das ist eine Art Fahrstrasse über beide Stellwerke. Wenn die Fahrstrasse in diesem Stellwerk festgelegt ist, gibt er mit diesem Hebel die Zustimmung zum andern Stellwerk, dass dann den Rest der Fahrstrasse einstellt.



Das Ganze ist vollmechanisch verriegelt:
Mal in der einen Lage:


Mal in der Andern:


Natürlich alles aus heimischer Produktion:


Was geschieht nun, wenn eine Weiche aufgeschnitten wird?
Am Stellhebel ist eine rote Scheibe. Die muss sich immer beim Stellhebel befinden.
Wird die Weiche nun aufgeschnitten, verdreht sich der Teil der Drahtseilscheibe die mit dem Drahtseil verbunden ist, während der Teil mit dem Stellhebel in der Hebelbank eingeklinkt bleibt. Dabei zerreisst es ein Plombe.
Die Scheibe und der Hebel sind dann nicht mehr nebeneinander. Um diesen Zustand wiederherzustellen, müssen die beiden Scheiben mit einem Spezialschlüssel wieder richtig gestellt werden. So wie hier freundlicherweise demonstriert (Die Weiche war natürlich nicht aufgeschnitten):

Natürlich muss dann die Weiche zuerst vom Wartungspersonal kontrolliert und die Plombe ersetzt werden.

Unter dem Stellwerk ist dann auch noch einiges vorhanden:

Für die weiter entfernten Weichen sind Spanngewichte eingebaut. Die Drähte gehen dann nach links weg.
Die zwei nebeneinanderliegenden Spanngewichte, je eines für den Zug- und den Nachlassdraht, verkeilen sich gegeneinander, wenn die Spanndrähte, wie es bei einem Stellvorgang geschieht, gegengleich belastet werden. Damit wird verhindert, dass sich nur ein Gewicht hebt, und man im Stellwerk meint, der Stellvorgang sei korrekt abgelaufen.
Bei Temperaturänderungen sind die Drähte beide in die gleiche Richtung belastet, dies erlaubt dann den Gewichten nachzugeben.

Weiter geht’s dann über die Drahtzüge:


Spannstationen:


Zu den Signal- und Weichenantrieben

Die Kurbel dient übrigens dazu, die Signallaterne herunter zu lassen. Zur Petrolzeit ein wichtiges Detail. Lampen wurden übrigens seinerzeit nicht gelöscht, sondern man wusste genau, wieviel Petrol eine Lampe über Nacht brauchte. Genau so viel ist dann eingefüllt worden.

Ich hoffe, der Ausflug hat Spass gemacht.
Ich glaube ein grösseres bahnmässiges Kontrastprogramm ist in der Schweiz nicht möglich.

Ein Bild noch zum Abschied; auch ein Kontrast:



Gruss Heinz


dlok und Fahrschalter haben sich bedankt!
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RE: Stellwerkkontraste

#2 von schotterbruno , 14.05.2016 07:23

Danke für den spannende Einblick in die Stellwerke.

Schöne Pfingsten
Bruno


Mä K- und C-Gleis, im sichtbaren Bereich Weinert "mein Gleis" mit Pukos von Weichen Walter, Lenz DCC (Fahren und Schalten getrennt), Blücher GBM16XN mit Loconet für die Rückmeldung, Itrain prof. Qdecoder für Weichen und Signale. Meine private Anlage Eichenstadt


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RE: Stellwerkkontraste

#3 von CR1970 , 14.05.2016 07:41

Sehr interessant die mechanische Technik. Vielen dank für alt und neu.

Androide Grüße von CR1970


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RE: Stellwerkkontraste

#4 von RedTrain , 14.05.2016 21:22

Spannender und sehr informativer Bericht -

Herzlichen Dank!


Beste Grüsse, Carlo

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RE: Stellwerkkontraste

#5 von jimknopf , 15.05.2016 03:25

Guten Morgen Heinz,

herzlichen Dank für diese Detailaufnahmen! Hier in Deutschland ist es ausgeschlossen, so unkompliziert in ein Stellwerk hineinzukommen, von der Betriebszentrale gar nicht zu reden.

Die aufgefahrene Technik ist zwar sehr beeindruckend, aber einen großen Nachteil der Zentralisierung läßt sich nicht verleugnen: ist irgendetwas in einem Bahnhof defekt bzw. gestört, ist kein Personal mehr direkt vor Ort - und der Zentralist kann nicht einige Dutzend oder auch Hundert Kilometer mit einem Fingerschnipp überwinden. Dann steht der ganze Laden eben erst einmal stundenlang, bis ein mobiler Trupp von irgendwoher angekommen ist, und der Reisende schaut nicht trotz, sondern wegen hochgerüsteter Supertechnik in die Röhre.

Aber so war das schon immer auf Erden: man kann nicht alles haben .


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Viele Grüße, Reiner


 
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RE: Stellwerkkontraste

#6 von Volvivo , 15.05.2016 13:07

Servus Heinz,
Danke füg die Bilder sehr.


Gruß aus Niederbayern
Michael

Die gute alte Bundesbahn in den 70igern und 80igern ... schön war's in der Epoche IV


 
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RE: Stellwerkkontraste

#7 von Brillenhuber , 15.05.2016 14:24

Hallo
Ich danke Allen, die mir geschrieben haben.

Dass ein "Nebenkriegsschauplatz" der Eisenbahn hier ein solche Echo hervorruft, hätte ich nicht gedacht!

Liebe Grüsse und frohe Pfingsten
Heinz

Zitat von jimknopf
Guten Morgen Heinz,

herzlichen Dank für diese Detailaufnahmen! Hier in Deutschland ist es ausgeschlossen, so unkompliziert in ein Stellwerk hineinzukommen, von der Betriebszentrale gar nicht zu reden.



Hallo Reiner
Die Führungen in der Betriebszentrale sind öffentlich. Das Hereinkommen ist allerdings nicht so unkompliziert: Ohne Anmeldung und Ausweis geht nichts. Und in die Hütte kommst du nur mittels Personenvereinzelung Batch und Code hinein.
Fotografieren wurde erlaubt, einfach mit der Auflage, dass keine Leute drauf identifizierbar seinen. Alle Fotos habe ich mit meiner Sony Nex7 gemacht, also nicht heimlich .

In Biel wurde ich eingeladen, dort drin Fotos zu machen.

Stellwerke waren in der Schweiz, sogar bei grossen Bahnhöfen, durchaus nicht eine Geheimsache: Hier ein Bild des Befehlwerks in Uznach, das schlicht und einfach auf dem Perron stand:

Aufgenommen im Juli 1999 von mir.

Auch das letzte mechanische Stellwerk das dem Personenverkehr diente, in Zurzach, stand auf dem Perron. In den Verschlag reinzukommen wäre kein Problem gewesen:


Hierzulande hatte und hat man weniger Berührungsängste zum Publikum. Man ist sich bewusst, dass der Laden ja uns, dem Volk, gehört.
Und dass das Volk immer wieder die Gelder bewilligen muss für den Ausbau. Also schadet es nichts, wenn man da ein wenig grosszügig ist.
Abgesehen davon will das Volk auch wissen, was mit seinen Steuergeldern geschieht.

Das zeigt sich zum Beispiel beim Gotthard Basistunnel: In den 2 Eröffnungszügen werden nicht nur fette Politiker hocken, sondern auch 1'000 ausgeloste Einwohner der Schweiz, also Steuerzahler. Jeder konnte sich an der Auslosung beteiligen.
Und die ganze Eröffnung wird als Volksfest aufgezogen:
http://www.gottardo2016.ch/de/publikumsanlass

Auch hier bei Olten wird im Moment der Eppenbergtunnel gebaut. Zuerst wurde ein Infozentrum für die Bevölkerung mit Turm (und Lift) erstellt, um dem Steuerzahler, bzw Eigentümer zu zeigen, was mit seinem Geld geschieht:





Auch wird immer wieder in der örtlichen Presse darüber berichtet:
http://www.oltnertagblatt.ch/solothurn/n...ochen-130261059
Und wer will, kann das Ganze auch besichtigen:
http://www.sbb.ch/sbb-konzern/ueber-die-...$eppenberg.html
Was ich übrigens jedem raten würde!

Ich war 2 Mal im GBT: Einmal 2002:

Und 2015, etwa am gleichen Ort:


Zitat von jimknopf
Die aufgefahrene Technik ist zwar sehr beeindruckend, aber einen großen Nachteil der Zentralisierung läßt sich nicht verleugnen: ist irgendetwas in einem Bahnhof defekt bzw. gestört, ist kein Personal mehr direkt vor Ort - und der Zentralist kann nicht einige Dutzend oder auch Hundert Kilometer mit einem Fingerschnipp überwinden. Dann steht der ganze Laden eben erst einmal stundenlang, bis ein mobiler Trupp von irgendwoher angekommen ist, und der Reisende schaut nicht trotz, sondern wegen hochgerüsteter Supertechnik in die Röhre.

Aber so war das schon immer auf Erden: man kann nicht alles haben .



Sorry, aber Du verwechselst da zwei Dinge:
Das eine ist die Zusammenfassung der Betrieblichen und Technischen Steuerungen und das Andere sind die Stützpunkte vor Ort.
Bei den SBB ist man mit der Ausdünnung der technischen Stützpunkte wesentlich weniger weit gegangen, als in Deutschland.
Auch hat man schon vor Jahrzehnten die Sicherungstechnik so ausgelegt, dass bei einer Störung die Auswirkungen auf den Betrieb minimiert wird. So haben viele Signale 2 Birnen in der Optik. Wenn eine durchbrennt, kommt die zweite zum Zug. Viele Signale haben ein Notrot:
So wie hier, wo das Rot und Notrot rechts auf der Signaltafel sind:


Ausserdem hat die "Aktion Weichenklau" bei den SBB auf Hauptstrecken nahezu keine Spuren hinterlassen: Fast alle Doppelspurigen Strecken sind banalisiert, also können Züge auf beide Richtungen auf beiden Gleisen verkehren und man hat jede Menge Überleitweichen eingebaut.
http://www.fahrplanfelder.ch/fileadmin/f...t/2016/G000.pdf

Ich bezweifle sowieso, ob es bei den Fahrplänen einem Fahrdienstleiter noch möglich wäre, eine Birne an einem Signal zu wechseln:
Wenn du hier den Verkehr anschaust zwischen Olten und Zürich:
http://www.fahrplanfelder.ch/fileadmin/f...t/2016/G151.pdf
Dort ist der Zugsverkehr so dicht, dass kaum 5 Minuten verbleiben, um etwas zu unternehmen.

Und da in der Schweiz Halbstundentakt heute die Norm ist, ist es auch auf Nebenlinien nur noch schwer möglich, eine solche Tätigkeit unterzubringen.

Wir sind bis jetzt mit unsrer Version des Bahnbetriebs nicht schlecht gefahren. Das erlebe ich jeden Tag: Von Olten nach Bern und zurück, sind wir immer der zweite Zug im Pulk, die im 2 Minutenabstand über die Schnellfahrstrecke fahren. Ab Bern sind dies: 16.32 Der IC, ohne Halt nach Zürich, 16.34 Der IR Olten-Brugg-Baden-Zürich, 16.36 der IC Bern Basel. Und das klappt problemlos. Seit 2009 pendle ich diese Destination: Es sind seither vielleicht 5 Mal Probleme aufgetreten, also weniger als eines pro Jahr. Das bedeutet dann jeweils Umfahren auf der alten Linie, was halt 12 Minuten länger dauert.

Bei allem Nachtrauern auf die gute alte Zeit: Die Eisenbahn hat in den letzten 30 Jahren in der Schweiz eine solche Renaissance erlebt, dass man buchstäblich an die Grenzen des Möglichen gekommen ist, und bereits die Grenzen leicht überschritten hat: Im Grossraum Zürich und Lausanne fällt in der HVZ die Pünktlichkeit ab.

Mit der FABI Abstimmung hat man nun einen zeitlich unbeschränkten Fond geschaffen, der Ausbauten, weiterhin ermöglicht.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokume...g-id-59077.html
Trotzdem wird jeder zusätzlich an die Kasse kommen. Wir als Steuerzahler:
http://www.accountingundcontrolling.ch/t...digerwerbenden/
Wir als Billettkäufer, und wir als Subventionsgeber.

Aber, wie die Abstimmungen zeigen: Das ist es uns wert.

Gruss Heinz


dlok hat sich bedankt!
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RE: Stellwerkkontraste

#8 von jimknopf , 15.05.2016 15:19

Hallo Heinz,

Du hast in allem, was Du sagtest, völlig Recht. Ich unterschreibe jedes einzelne Wort in Schönschrift. Du lebst schließlich in der schönen Schweiz, ein mit einer funktionierenden Eisenbahn gesegnetes Land.

Das Interesse an einer solchen Eisenbahn, auch und gerade an ihren "Nebenkriegsschauplätzen", welche überhaupt nicht "neben-" sind, ist bei Eisenbahnfreunden immer noch ungebrochen groß. Eben weil man normalerweise im Alltag nicht hinter die Kulissen schauen kann, sind Einblicke dieser Art eine hochwillkommene Lektüre.

Hier bei uns im "grossen Kanton im Norden" ist die Welt das genaue Gegenteil. Ein Fahrdienstleiter hat noch nie die Glühlampen im Signal gewechselt, aber die früher einmal dafür vorhandenen Bahnmeistereien sind praktisch verschwunden, und die heutigen LST-Trupps brauchen nun eben ihre Anfahrtszeit über das Straßennetz. Das wollte ich in meinem Beitrag darstellen.

Früher hieß ein Werbeslogan "Alle reden vom Wetter, wir nicht". Heute stellt man bei der ersten Windböe den Betrieb ein.

Früher konnte man durchaus auf einem Kleinstadtbahnhof einmal in das Stellwerk hineinschauen, die auf ihre Berufsehre stolzen Eisenbahner (gab es damals noch) zeigten gerne ihre Arbeit. Wer sich heute auch nur in die Nähe einer technischen Bahnanlage bewegt, wird quasi schon vom Bundespolizei-SEK observiert (OK, ist jetzt leicht übertrieben [aber wirklich nur leicht ]).

Auf die Meinung des finanzierenden Eigentümers, also des Volkes, scheißen die oberen Heeresführer einen dicken Haufen. Das Streckennetz wird durch Weichenrausreißen unbefahrbar gemacht, funktionsfähige Loks werden bei Bender sinnlos zerstört, in Geheimbahnhöfen wie Hamm oder Mukran rosten Hunderte von Reisezugwagen vor sich hin. Aber die zu kurzen Züge sind ständig überfüllt, und Fahrpläne ihr Papier nicht mehr wert.

Da ist die Besichtigung einer Betriebszentrale reines Wunschdenken. Daß der Einlaß auch bei uns kontrolliert werden würde, ist schon klar, aber die DB und Öffentlichkeitsarbeit? Da empfiehlt lange vorher der Papst den Besuch von Pärchenclubs ohne Kondome.

Wir hier sind in Autoland Deutschland, wo die dicke Dreckskarre unter'm Arsch das entscheidende Satussymbol ist. Eisenbahn? Der Zug ist bei uns längst abgefahren.

Ach ja, sagte ich das schon? Du lebst in der schönen Schweiz, ein mit einer funktionierenden Eisenbahn gesegnetes Land. Und mit einem Volk, das noch denken kann. Und darf. Und sogar denken soll!


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Viele Grüße, Reiner


 
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RE: Stellwerkkontraste

#9 von snaky , 16.05.2016 00:49

Hallo Alle Zusammen

@Heinz (Brillenhuber):
Super Berich, HAMMER Fotos und SUPER Infos
Jetzt weiss ich auch, als ich immer nach Bern auf der NBS Olten Bern mitgefahren bin, "ohne" ersichtlichen Grund stark gebremst hat, und dann bis Bern kein Rotes Signal hatte COOL

@Reiner (jimknopf):
Ich will Dir ja nicht wiedersprechen, ..., aber SSOO schön ist es in der Schweiz auch nicht
Muss hier sogar STEUERN zahlen, ..., NAA jetzt biste Baff
Und, sorry, das ist der einzige Satz von deinem Bericht der mir ein LEBENLANG bleibt:

Zitat
Da empfiehlt lange vorher der Papst den Besuch von Pärchenclubs ohne Kondome.



Freu mich schon auf meine Sommerferien auf der BAB 81, 3, 7, 44, 1, 43 und die 40
Die haben wir nicht in der Schweiz.

Schönen PFINGSTMONTAG alle zusammen.


MfG Snaky

Meine Anlage:Danothal
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RE: Stellwerkkontraste

#10 von B VI , 21.05.2016 10:54

Merci für die interessanten Berichte!
Das sieht ja mehr nach Houston, "Mission Control", als nach Eisenbahnbetrieb aus ...

Gruss
Chris


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RE: Stellwerkkontraste

#11 von dlok , 11.05.2021 18:07

Hallo an Allen,

Danke Heinz für den schönen Beitrag.

Es ist bereits ziemlich lange her, dass du in Biel RB deine Fotos gemacht hast.

Biel RB wird Ende Juli 2021 für 2 Wochen « stillgelegt »

Während dieser Pause wird :

  1. der Stellwerk 1 leider außer Betrieb gesetzt (und soviel ich weiß auch abgebrochen)
  2. der Stellwerk 2 zu Weichenposten rückgebaut, fur den provisorischen Betrieb vom 8. August bis Ende November.
    Dann wird er durch SBB Hysteric als historisches Gegenstand aufbewahren (und hoffentlich betreut, gepflegt und zur Besichtigungen öffentlich gemacht ???)
  3. der elektronische Stelwerk mit eingegrentzer Topologie ab dem 8. August in Betrieb gebracht, der alle Zugfahrstrassen übernehmen wird.


Ende November werden alle Gleise von den ehemaligen Stellwerken 1 und 2 durch den elektronischen übernommen (aus Lausanne ferngesteuert) und so auch der Stellwerk 2 ins definitiven Schlaf gelassen.

Bemerkenswert:
Eine zukünftige Integration des Stellwerkes 3 wird ermöglicht, doch konkret ist momentan nichts geplant.
Es bedeutet: Stellwerk 3 wird FAST im Ursprungs Zustand, voll mechanisch, bis auf weiteres in Betrieb bleiben, mit Schnittstellen von und nach Biel Produktionszentum Ost (neue Name von Biel RB).

Die Weichenposten 4, 5 und 6 werden von der Modernisierung nicht betroffen und gelten als nicht zentralisierte Bereiche.

Falls Interesse besteht könnte ich noch mit näheren Informationen und Fotos kommen.

Auch die Geschichte von Puidoux-Chexbres könnte ich hier ein bisschen beschildern (und das frisches Verschwinden des Stellwerkes Domino 55 von Lausanne).


Mit besten Grüssen aus der Westschweiz.

Laurent

PS: Masstab 1:1 und 1:87 passen gut zusammen
- Gruss aus der Schweiz: Was wurde bisher/sonst getan?
- Anlageplanung
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RE: Stellwerkkontraste

#12 von dlok , 24.04.2022 17:03

Für die Interessierte noch eine Video über Biel RB, die ich fast per Zufall gefunden habe:


Posten 1 und 2 sind Heute leider geschichte, Poste 3 aber fast unverändert weiterhin in Betrieb (Weichenposten IV, V und VI auch noch).

PS: Sorry für euren Ohren ... es ist mir bewusst, das Schwyzerdütsch keine Sprache ist
Sprechen ist einfach: ein Mund voll mit Kies und dann kauen ... verstehen ist etwas schwieriger


Mit besten Grüssen aus der Westschweiz.

Laurent

PS: Masstab 1:1 und 1:87 passen gut zusammen
- Gruss aus der Schweiz: Was wurde bisher/sonst getan?
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Brillenhuber hat sich bedankt!
 
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zuletzt bearbeitet 24.04.2022 | Top

   

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