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Der Fluch der Akribik, Teil 93
DER HERBST NAHT – DIE SCHIENEN FÄRBEN SICH IN PRÄCHTIGEN FARBEN
Inzwischen sind die Schienenroste für die zweigleisige Hauptstrecke und für die dazugehörigen Weichen dreimal gestrichen. Wie schon berichtet, habe ich jeweils stark verdünntes Beige, Hellgrau und Lederbraun lasierend (durchscheinend) aufgetragen. Nun fehlt nur noch die letzte, die schwarze Schicht, dann können die Profile eingezogen werden.
Modellbau erinnert zeitweilig ein bisschen an Schach. Das geschätzte Publikum wird nicht immer mit einer dichten Folge von rasanten Action-Szenen verwöhnt - egal, ob Sommerloch oder nicht Sommerloch. So ist es auch hier bei mir. -
Während ich mit der Ausbeute der vergangenen Woche seeeeehr zufrieden bin, ist dieses Foto natürlich nichts, was den Betrachter dazu nötigt, vor Begeisterung sofort ein Glas Bier an die Wand zu schmeißen.
Vielleicht ist es aber sowieso an der Zeit, nicht nur meine Modellbauaktivitäten zu verfolgen, sondern sich auch ein wenig beim Vorbild umzusehen.
Schienenfarben beim Vorbild
Wenn Modellschienen überhaupt gefärbt werden, so scheinen mit Vorliebe zwei Farben verwendet zu werden – Rostrot und Ocker. Speziell das Rostrot harmoniert, wenn es kräftig aufgetragen wurde, nicht immer gut mit den Farben der Modell-Umgebung. Auf manchen Fotos ansonsten sehr schön gestalteter Anlagen wirkt es regelrecht penetrant. Anders beim Vorbild – dort scheinen sich Rostfarben immer unaufdringlich in die Umgebung einzufügen. Woran liegt das?
Mich hat das interessiert und ich habe mich letzte Woche ein bisschen bei der großen Bahn umgesehen. Ich denke nun ein bisschen vor mich hin, egal, ob ich Recht habe oder nicht. Wenn sich jemand mit Farben besser auskennt als ich, ist er herzlich eingeladen, sich hier einzubringen:
Hier eine 1970 von Donawitz gelieferte Schiene – Mitte August in Klein St. Paul zur Mittagszeit fotografiert, auf einer Nebenbahn also, die seit Jahren werktags nur noch von ein bis zwei Garnituren täglich befahren wird. Am Wochenende fährt hier gar nichts mehr. Eigentlich müsste diese kaum befahrene Schiene vor Rost strotzen:
Sie strotzt nicht, schon gar nicht in Rostrot. Mittels Photoshop messe ich die CMYK-Werte 39 43 71 11 aus dem Foto heraus. Ein helles Braungrau mit etwas Gelb-Anteil, wie man auf dem Farbpicker gut sehen kann, nahe verwandt mit RAL 1024 Ockergelb (CMYK 30 40 70 10) und RAL 7008 Khakigrau (CMYK 30 40 70 40). Beide Farben gibt es z.B. bei Revell als 36116 „Sand“ und 36186 „Khakibraun“.
Ein paar Kilometer weiter das gleiche Bild, nur heller, also eher sandfarben:
Und wie sieht dieses Gleis aus, wenn die Sonne nicht draufscheint?
So sieht‘s im Schatten aus, also unter Lichtbedingungen, wie sie in vielen Hobbykellern herrschen dürften. Dunkelgrau. Womit diese Farbe entfernt meiner Brünierung ähnelt. Welch ein Zufall aber auch…
Und bestimmt ist es auch kein Zufall, dass Meister Brandl einen dunklen, braungrauen Farbton verwendet, um seine Schienen zu färben. Allerdings färbt er die Schwellen gleich mit.
Zum Vergleich Schienen einer anderen wenig befahrene Nebenbahn, gut 50 km weiter südlich, in Ferlach. Auch hier kein Rostrot, sondern braungrau:
Auf zahlreichen Fotos aus den 50er Jahren – das gleiche Bild. Braungrau, nicht Rot. Egal ob in Villach, auf dem Semmering oder in Wien. In ganz Österreich.
In ganz Österreich? Nein, nicht in ganz Österreich! Ein tapferer kleiner Schienenhaufen leistet noch Widerstand! Wusste ich’s doch! Schienen sind rostig und Rost ist rötlich! Hier endlich der Beweis!
Hier empfinde ich persönlich die Farbe der Schienen als richtig schön rötlich.
Zoomt man in das Bild allerdings ein wenig hinein, verschwindet der rötliche Eindruck eigenartigerweise wieder und übrig bleibt ein ganz normales Braun:
So sieht das dann in Photoshop aus:
Ein mittleres Braun, den CMYK-Werten nach etwas dunkler als RAL 8023.
Wenn nun braune Schienen vor dem saftigen Grün des Grases im Hintergrund rötlich wirken, ohne dieses Gras aber nicht, so legt das den Verdacht nahe, dass mir hier eine optische Täuschung im Zusammenhang mit den sogenannten Komplementärfarben Rot – Grün einen Streich spielt.
Wenn das zutrifft, dann müsste jemand, der im Modell gerne rostrote Schienen hätte, seine Schienen bloß braun färben, und sie werden vor einem kräftigen grünen Hintergrund automatisch ein wenig rötlich wirken.
Färbt man die Schienen hingegen von Haus aus rötlich, so kann es dann schon sein, dass dieses Rot vor dem grünen Hintergrund stark übertrieben erscheint, weil das Grün die Wirkung der roten Farbe unverhältnismäßig verstärkt.
Hihi, wenn ich mich nicht irre, sprach Sam Hawkens.
Und ein anderes Phänomen ist auch nicht auszuschließen: Rost zeigt, aus der Nähe besehen, manchmal prächtige Farben. Orange, Ocker, Rot, Schwarz und alle erdenklichen Braun- und Grautöne. Aus der Entfernung besehen mischen sich diese Farbpunkte im Auge des Betrachters wie die Pinselhiebe eines impressionistischen Gemäldes, und wir sehen Braungrau statt Bunt.
So, genug des theoretischen Mutmaßens über eventuell möglicherweise denkbare Farbphänomene nicht zweifelsfrei geklärter Herkunft, jetzt wird wieder gearbeitet. Ab in den Mobakeller!
Bis zum nächsten Karl-Freitag
Euer K.