Hallo Thomas,
ich beobachte schon seit einiger Zeit mit steigendem Vergnügen, wie Dein "Märklinismus" an den Ecken auszufransen beginnt. Ich dachte schon, dass es nur eine Frage der Zeit sein wird, bis dass Du dem ersten "Fremdfahrzeug" eine Chance geben wirst.
Wegen Ärger mit der ersten Generation des HLAs habe ich damals diesen Antrieb über mehr als 10 Jahre komplett boykottiert (und dabei leider gar nicht mitbekommen, als er brauchbar wurde), statt dessen aber verstärkt auf Nicht-Märklin-Produkte bel Loks und Wagen gesetzt und habe so einiges an Erfahrungen mit diesen Produkten - übrigens habe ich fast durch die Bank AC-Versionen der Loks gekauft, so dass sich meine folgenden Beschreibungen immer darauf beziehen. Umbauten von DC nach AC habe ich zwar schon gemacht, aber da ich noch Blechgleis-Bogenweichen verbaut habe, ist bei mir Radtausch Pflicht - und das geht nicht überall problemlos.
Zur Gehäusebefestigung: Es ist nicht so, dass ein geschraubtes Gehäuse grundsätzlich eine "Qualitätsbefestigung" wäre. Ich habe die Class 66 von Mehano, die mit Madenschrauben direkt im Kunststoffgehäuse befestigt wird. Da haben die Schrauben inzwischen weitgehend den Kunststoff herausgedreht. Also das isses auch nich...
Weiteres Beispiel ganz anderer Art ist Rocos 64: Hier sitzt eine Befestigungsschraube im Dampfdom unter einem Plastikdeckel. Wenn man die herausdreht, kann man zwar den Kessel mit dem daruntersitzenden Motor abnehmen. Das reicht aber oft nicht (z.B. wenn man den Jumper für den Rauchsatz umsetzen will) - und dann geht das mit den Rastnasen doch wieder los.
Eine wichtige Sache beim Kauf von "Fremdprodukten" ist die R1-Kompatibilität. Hast Du keinen R1, kannst Du das Thema übergehen. Hast Du ihn aber, musst Du für jedes Modell gesondert darauf achten, ob es mit dem R1 klar kommt. Und vor allem unter den großen Dampfern gibt es viele Loks von Roco, Brawa und anderen, die sicht nicht dafür eignen.
Zu den Herstellern im Einzelnen:
Roco:
Alte Modelle taugen nicht viel (meine Faustregel: alt=Produktionsjahr vor 1990), da sie oft keine Schwungmasse haben und auch ihre Kupplungen gelegentlich etwas zweifelhaft sind. Bei neueren Modellen hat Roco die Antriebsdinge perfekt im Griff - die Loks laufen sagenhaft weich und ruhig und vertragen sich auch mit Lastregelungen gut, so dass heute auch die Zugkraft kein Grund mehr für Klagen ist (ohne Lastregelung war sie das). Rocos Antriebe stellen m.E. in vielen Fällen den "Stand der Technik" dar - Märklins Konzepte der letzten beiden Jahrzehnte wirken von den Laufeigenschaften her - mit Ausnahme der Faulis - sehr oft antiquiert und deutlich unterlegen dagegen.
Vorbildtreue und Modelldetaillierung ist hervorragend bei Roco und sehr oft besser als bei Märklin. Natürlich hat auch Roco in der Vergangenheit Fehler begangen - allerdings waren die dann i.d.R. bei der ersten Neuauflage eines Modells beseitigt. Bei Märklin gibt es eine neue Lackierung .
Die Gehäusebefestigung ist ein nennenswertes Thema bei Roco. Die Klipserei ist aus meiner Sicht nicht so der Punkt - das klappt bei neueren Modellen ganz gut und ist auch dauerhaft, da der Kunststoff ausreichend elastisch ist. Bei älteren Modellen gibt es auch hier Probleme. Auch heute noch problematisch bei Roco ist das Aushängen von Treppen beim Gehäuseöffnen und andere nette Späße, die dringend zu beachten sind. Die Sache mit dem Pufferherausziehen (ist beim Roco Schienenbus so) halte ich nicht für so ideal. Roco-Gehäuse sind relativ oft unglaublich verbaut - ohne Anleitung ist es oft gar nicht möglich zu erkennen, wie das Ding geöffnet wird. Hannes' Schwitzerei beim Öffnen von Roco-Loks, die Du ja bestimmt auch beobachtet hast, kommt nicht von ungefähr. Die Beschreibungen sind oft ungenau, so dass man die genaue Position der Rastnasen erst suchen muss.
Das Thema "Zurüstteile" hatten wir ja schon. Das ist leider bei Roco wirklich ein Thema, wenn auch nicht so schlimm wie z.B. bei Lima. Und es kommt auch vor, dass diese Teile abfallen, da die Genauigkeit der Bohrungen nicht immer perfekt ist. Leider hat Roco bis heute noch keinen Klebstoff herausgebracht, mit dem sie sich sicher befestigen lassen. Ich habe Olaf Münch damals nicht umsonst gefragt, mit welchem Sekundenkleber er Zurüstteile anklebt - weiße Flecken (=Ausblühungen) sind das Allerletzte, was man auf Modellen haben möchte. Interessant ist noch, dass Roco bei seinen ganz neuen Modellen (hier der BR64) von der Zurüsterei abzugehen scheint, denn diese Lok war ab Werk komplett zugerüstet. Ich habe sie sogar abgerüstet (die vordere Pufferbohle), weil ich vorne eine Kupplung haben wollte.
Auch das mit den Dekodern wurde schon angesprochen. Roco verbaut seit vielleicht 7 Jahren nur noch ESU-Dekoder - vom LoPi 1 bis 3 ist alles vorhanden - vorher wurden Lenz Dekoder ohne Lastregelung eingesetzt. Das wäre normalerweise gar nicht so schlecht, aber diese Dekoder sind oft funktionsbeschränkt - und das ist nicht hinnehmbar! Ich werde auf der nächsten Messe in Dortmund bei Roco dagegen protestieren und werde für die Zukunft funktionsunbeschränkte Dekoder verlangen und möchte Euch bitten, das auch zu tun! Wenn sie das von vielen Leuten zu hören bekommen, besteht immer die Chance, dass es besser wird. Also wenn Du aktuelle Fahrzeuge von Roco kaufst, musst Du schlimmstenfalls damit rechnen, dass ein Dekodertausch erforderlich wird. Der ist dann aber dank heute immer vorhandener Schnittstelle ein Kinderspiel.
Fleischmann:
Das ist der Hersteller, der Märklin in mehrerlei Hinsicht am ähnlichsten ist. Loks sind weniger fragil als die von Roco, ältere Modelle haben den Rundmotor, der ein entfernter Verwandter der Märklinmotoren ist und ähnlich wie Märklins HLA ein Stirnradgetriebe hat. Neuere Modelle haben dagegen einen Blockmotor mit Schwungmasse. Die Gehäusebefestigung ist sehr oft mit Schrauben gelöst. Eine Klasse für sich sind Fleischmanns Dampflokomotiven - Detaillierung und Optik ist vom feinsten und schlägt derzeit jeden anderen Großserienhersteller. Loks wie Fleischmanns 03 sind in der Optik um ca. zwei Klassen besser als der Krüppel von Märklin -und werden bei Ebay für niedrigere Preise gehandelt . Ach so: Keine Angst vor dem Tenderantrieb - Fleischmann ist der Hersteller, der das am besten im Griff hat - Zugkraft und Laufverhalten der Loks sind in Ordnung und ähnlich wenn nicht besser wie die Roco-Loks, bei denen heute meist die Kuppelräder der Lok über einen Kardan angetrieben werden. Fleischmann baut noch nicht so sehr lange Schnittstellen für Dekoder ein und gönnt sich dabei eine Besonderheit: Hier werden oft nicht die zweireihigen achtpoligen Schnittstellen eingesetzt, sondern eine einreihige sechsplige. Wenn Du nicht am Dekoderstecker herumlöten willst, musst Du einen passenden Dekoder kaufen!
Allerdings solltest Du einen Bogen um ältere Fleischmannmodelle machen: Hier stimmt der Maßstab sehr oft nicht (1:82!).
Piko:
Bei Piko muss man einen deutlichen Unterschied zwischen den Hobbymodellen und den Hochpreismodellen machen. Die Hobbymodelle sind qualitativ eingeschränkt - Antriebe haben i.d.R. keine Schwungmasse (Ausnahme die neue G7.1), Schnittstellen sind nicht vorhanden und als Dekoder werden die indiskutablen Andis verbaut. Erst bei den allerneusten Modellen (so der G7.1) scheint sich das zu ändern.
Die Hochpreismodelle haben dagegen eine fantastische Optik und laufen auch sehr gut. Ich habe Pikos E04 und E93 - und beide Loks schlagen ihre Pendants von Märklin deutlich (E93 Piko ähnlich E94 Märklin). Schnittstellen sind auch vorhanden. Wenn ich mich recht entsinne, waren die Gehäuse geklipst - ich mache die Dinger so selten auf! Leider hat Piko auch in der Vergangenheit bei diesen Modellen den Sch...-Andi verbaut - hier ist ein Dekodertausch Pflicht!
Brawa:
Die Empfehlung für Brawa durch einige Vorschreiber wundert mich etwas. Ich habe von Brawa eine E95 und eine BR 65-10. Kein anderer Hersteller baut so fragile Loks mit derart feinen und empfindlichen Details und Einzelteilen wie Brawa. Wenn man die Loks auf der Anlage einsetzt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis man mit Schäden zu kämpfen hat, zumal das Laufverhalten m.E. nicht so gut wie z.B. bei Roco ist - d.h., es gibt öfter Entgleiser. Die 65-10 ist nicht R1 tauglich (entgegen der Angaben des Herstellers). Meine Lok ist inzwischen deutlich beschädigt. Das ist meine schlechteste Lok überhaupt und bisher die einzige (von über 80), die ich z-gestellt habe. Wenigstens ist die Optik bei Brawa sehr gut.
Besser scheinen die Drehgestellloks zu sein. Ich habe aber keine und kann nichts dazu sagen.
Liliput
Man sollte einen deutlichen Unterschied zwischen Liliput-Wien und Bachmann-Liliput machen. Die alten Liliput-Sachen sind zwar sehr schön und fein, aber für einen Anlageneinsatz von zweifelhafter Quallität. Bei meinem ETA 180 sitzen die Räder nicht fest auf den Achsen - schien typisch zu sein. Zu den Bachmännern kann ich mangels Substanz wenig sagen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass ich mich irgendwann an der BR 75 oder 92 versuchen werde - allerdings in den AC-Versionen.
Gützold
Schöne Modelle - aber der Hersteller hält die Märklin-Norm nicht genau ein, d.h., auf Blechgleis gibt es Probleme mit der Laufsicherheit. Das gilt sowohl für meine 229 (bei der außerdem einige Fenster verloren gegangen sind) und ganz besonders bei der 155, die so unsicher läuft, dass sie zur Zeit in meinem AW steht und auf eine Radstandüberprüfung wartet. Auf C-Gleis sollte man die Probleme nicht haben. Schnittstellen sind Standard, Gehäuse sind geklipst. Antriebe sind ok. Vor allem die 229 ist unglaublich schwer (800 Gramm) - da hält keine Märklin-Lok vergleichbarer Größe mit!
Mehano
Die Gehäuseprobleme bei der Class 66 hatte ich ja schon erwähnt. Ich habe auch noch eine G2000, die das nicht hat. Beide Loks sind prima detailliert und laufen auch gut. Sie haben Schnittstellen und ab Werk einen unkastrierten Lopi.
Dass die Erfahrungen mit der ersten Fremdlok für das weitere Verhalten maßgeblich ist, habe ich hier schon häufiger beobachtet. Wenn man spätestens mit dem zweiten Modell nicht zufrieden ist, hält man eben alle Hersteller im DC-Bereich für schlecht. Doch es gibt auch da große Unterschiede zwischen den Herstellern, eine Streuung innerhalb einer Produktion und oft massive Unterschiede zwischen alten und neueren Modellen. Wer also da wie Olli oben meint, nach nur zwei Modellen eine eindeutig negative Antwort geben zu können, muss sich sagen lassen, dass seine Erfahrungsbasis viel zu klein für ein ausgewogenes Urteil ist. Außerdem: Wieviel Scheiße (das sage ich jetzt hier bewusst und mit Absicht) hat Märklin in den letzten Jahren gebaut und wieviel Unzufriedenheit gab es damit? Da müssten eigentlich viele sein, die inzwischen auch mit Märklin substanziell unzufrieden sind. OK, echte Fans verkraften schon was. Märklin wird halt sein Marketing intensivieren.
Thomas, wenn ich Dir einen direkten Rat geben darf: Willst Du auf Nummer sicher gehen, dann kauf eine Fleischmann Lok - von mir aus den von Dir bereits angesprochenen Knallfrosch (E41) mit Sound. Da weiß man relativ sicher was man hat. Der Antrieb ist zwar keine Offenbarung, aber auch nicht wirklich schlecht. Optik und Detaillierung sind ok, Qualität der Ausführung auch.
Willst Du aber risikofreudiger sein, dann versuche Dich an einer Roco-Lok neueren Datums. Vom Antrieb wirst Du begeistert sein - allerdings musst Du mit mehr oder weniger Zurüstteilen rechnen. Wenn Du hier für kleines Geld eine Gebrauchtlok in gutem Zustand erstehst, kannst Du eigentlich nicht viel falsch machen - allerdings könnte ein Dekoderwechsel nötig sein. Das gleiche gilt auch für die von mir erwähnten Piko-Loks E04 und E93!
Viele Grüße
Ulrich