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Der Fluch der Akribik, Teil 120
DIE ANSTALT FÜR GEISTIG ABNORME GLEISPICKER
„Olso i bewunda den Koal“, hat die Mitzi gesagt, „wos dea fia a Geduld hot! Wochnlong pickta a Gleisle nochn ondan. I brachat sowos nit zom, i hätt‘ schon längst olls hingschmissn!“ Der Toni pafft verächtlich an seiner Pfeife: „Da Koal? Den weans einschpean, wona so weitamocht. Weast schon segn, dea kimmp noch amol in a Onstolt fia geistig obnoame Gleispicka!“
[Also ich bewundere den Karl. Was der für eine unendliche Geduld hat! Wochenlang montiert er eine Schiene nach der anderen. Ich bräche das nicht zuwege, ich hätte schon längst alles hingeworfen! – Der Karl? Den werden sie verhaften, wenn er so weitermacht. Du wirst es noch erleben, der kommt irgendwann ganz sicher in eine Anstalt für geistig abnorme Gleiskleber!]
Das unablässige Schienenaufkleben der letzten Wochen war tatsächlich ein wenig zermürbend. Im Moment gibt es aber einiges an Abwechslung. Ich bin knapp vor der zweiten Schattenbahnhof-Einfahrt angelangt. Ein weiteres Dutzend Weichen wartet auf den Einbau. Die Teile für die Weichenantriebe sind entgratet und sortiert:
Während ich für die ersten Antriebe endlos viel Zeit benötigte, ist nun Routine eingekehrt. An einem einzigen Abend sind die Mittelstellungen der Servos markiert, die Servos eingeschraubt und die Gleitbahnen zusammengefügt.
Weitere Abwechslung bescheren mir meine Güterwagen, und zwar die gedeckten Flachdachwagen der Bauart Kassel bzw. München, unverzichtbare Standard-Fahrzeuge auf meiner Anlage.
Beim Vergleich eines meiner abgestürzten Brawa-Modelle mit Fotos aus den 50er Jahren fällt nämlich zweierlei auf:
- Die österreichischen Wagen hatten fast ausnahmslos Blechdächer mit den typischen, weithin erkennbaren Falzen.
- Soweit noch hochgestellte Bremserhäuser vorhanden waren, waren diese kleiner als die ursprünglichen - sie ragten nicht mehr in die Dächer hinein.
Ähnliches gilt für die ÖBB-Oppeln von Brawa, auch die hat es ab den 50er Jahren so gut wie nie ohne Blechdach gegeben.
Quellen wie diese bestärken mich in meiner Ansicht.
Konsequenz: Die hervorragenden Brawa-Flachdachgüterwagen-Modelle sind, von der bekanntlich nicht korrekten Lage der Bremsanlage einmal abgesehen, auch in dieser Hinsicht nicht perfekt bis zum Tod durch Langeweile, sondern bieten dem Modellbahner mit Österreich-Bezug durchaus noch einigen Bastelspaß. Das Dach muss Falze bekommen, die Bremserhäuser müssen ausgetauscht oder entfernt werden.
Ich beginne mit einem Wagen ohne Bremserhaus (und ohne einige weitere Teile, die sich beim Absturz unerlaubt entfernten). In der Bastelkiste findet sich noch ein „alter“ Roco-G10. Das ist der mit den für Deutschland falschen, für die ÖBB aber prima passenden seitlichen Diagonalprofilen – und einem für Deutschland falschen, aber für die ÖBB korrekten Blechdach.
Wir schreiten zur Anprobe… und das Dach passt hinsichtlich Breite, Länge und Materialstärke ganz genau! Auch die Falze sind glaubhaft dimensioniert. Das Dach ist nur um eine Kleinigkeit zu stark gewölbt:
Aber das ist kein Malheur. Ein paar Schnitte an der Unterseite, und schon lässt es sich passend zurechtbiegen:
Mit Stabilit Express einkleben, fixieren, Kleber über Nacht aushärten lassen…
…fertig!
(Naja, bis auf die Bremsanlage und die beim Absturz verloren gegangenen Teile. Auch ein wenig Farbe verträgt das Modell noch…
Die gezeigte Methode ist die einfachste und zugleich teuerste, weil man aus zwei Modellen eines macht. Mit etwas Geschick kann man auch hauchdünne Drähte, 3D-Linien oder – etwas weniger filigran – Polystyrol-Profile auf das Brawa-Dach aufbringen. Etwas überstehen lassen, Kleber aushärten lassen, bündig abschneiden.
Wer die Bremserhaus-Variante des Brawa ÖBB Flachdachwagens mit geringstmöglichem Aufwand optimieren will, muss entsprechend Geld in die Hand nehmen: Basismodell von Brawa, Blechdach des „alten“ Roco-G10, kurzes Bremserhaus des „neuen“ (zu hohen) Roco-G10…
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@ Randolf und Franz-Peter: Sorry für die fliegende Verdrahtung. Das ist in der Tat kein Benehmen - das gehört sich eindeutig nicht in einem Forum, das definitiv nicht dem Flugmodellbau gewidmet ist…
Und vielen Dank für den Tipp mit den beschreibbaren bzw. bedruckbaren Schrumpfschläuchen!
Liebe Grüße aus dem Süden – bei prachtvollem Frühlingswetter
Euer Karl