01 1056 ist wieder unter Dampf! Zu verdanken hat sie das einer völlig neuen Initiative des Geschäftsbereiches "Historische Verkehre" deren Zielsetzung der Versuch ist, in bestimmten Einsatzfeldern historische Fahrzeuge wenn nicht gewinnbringend, so doch zumindest kostendeckend einzusetzen.
Außer dem GB "Historische Verkehre" sind in das Projekt involviert die DME Darmstadt-Kranichstein, die HEF Historische Eisenbahn Frankfurt sowie ein renommierter internationaler Reiseveranstalter. Unter dem Titel "See Germany in one day" sollen insbesondere Touristen aus dem angloamerikanischen und asiatischen Raum angesprochen werden, die in begrenzter Zeit möglichst viel "Deutschlandstereotype" erleben wollen. Im "Rheingold"-Zug aus im historisierenden Stil modernisierten blauen Schürzenwagen führt die Reise von Frankfurt über Frankfurt Fernbahnhof - um Flugreisenden den direkten Transfer vom Flug in den Touristikzug zu ermöglichen - das weltberühmte Rheintal entlang bis nach Köln, wo Gelegenheit zum Besuch des Doms besteht. Danach geht es - vorbei an der Brücke von Remagen und der Loreley - wieder über Frankfurt-Fernbahnhof zurück, sodass in der Mainmetropole wieder direkter Übergang zum Flug besteht. Im Zug werden "typisch deutsche" Speisen und Getränke gereicht und traditionelles deutsches Liedgut dargeboten, um der kulturellen Erwartungshaltung der Hauptzielgruppe gerecht zu werden.
Auf der Suche nach einer optisch passenden, nostalgischen Zugmaschine stieß man auf die in Darmstadt-Kranichstein stehende 01 1056, die sich nach wie vor im Eigentum der Deutschen Bahn befindet. Bei der im Zuge der betriebsfähigen Aufarbeitung ohnehin notwendigen Neubekesselung entschied man sich nach dem Vorbild der 01 1095 für einen Kessel nach den Zeichnungen des Dampferzeugers der Baureihe 01.0. In Verbindung mit einem Blauanstrich, wie ihn die 01 1087 nachweislich getragen hatte, bekam man so nicht nur die in der Erscheinung optimale Zuglok für den "Blue Rhinegold", sondern auch noch eine 01.10 mit sogar zwei markanten optischen Alleinstellungsmerkmalen im Unterschied zu den weiteren auf dem Markt befindlichen 01.10ern wie 01 1066, 01 1100, 01 1075 oder 01 1104. Die Aufnahme zeigt die als Reminszenz an ihre blaue Vorgängerin als "01 1087" beschilderte 01 1056 am 29.02.2015 in Darmstadt:
Natürlich alles Unfug. Man muss den Konjunktiv schon mächtig bemühen um eine Vita zu basteln, die eine betriebsfähige blaue 01.10 im Jahre 2015 plausibel macht. Nur - und das ist der Unterschied zu Vielem, was wir in diesem Thread schon gesehen haben - die blaue 01 1087 gab's wirklich. Beim Bw Bebra stationiert erhielt sie anlässlich einer L 4 am 08.02.1950 gemäß Verfügung vom 02.11.49 einen Anstrich wie folgt: Führerhaus, Windleitbleche, Kessel RAL 5001 (nach anderer Quelle RAL 5003; abweichend hiervon schreibt Ebel im Baureihenbuch des EK-Verlages über die 01.10 auf S. 101, "die Windleitbleche blieben schwarz") ; Rauchkammer, Schornstein RAL 9005, Fahrgestell/ Triebwerk rot RAL 3000. In diesem Anstrich ist sie gefahren bis 05.07.1950, danach wurde sie wieder in schwarz/ rot umlackiert. Ab Ende 1951/ Anfang 1952 erhielt sie zum zweiten Mal einen Blauanstrich, aber nun ebenfalls in RAL 5011 wie die 03 1014, 1022 und 1043. (Angaben nach WILKE, Blaue Dampfloks, in EK 12/ 89, S. 90). Wie lange die 01 1087 im blauen Gewande durch die Gegend fuhr ist nicht bekannt; Ebel vermutet auf Grund vorliegender Sichtungen bis ins Jahr 1954 hinein, dem Jahr ihrer Neubekesselung.
Farbfotos von der 01 1087 aus ihrer "blauen Epoche" sind mir nicht bekannt; tauchte eine solche auf, es wäre wohl eine Sensation. Und gäbe es eines, hätten sich die Grafiker von Liliput 1989 die Kolorierung der Schwarzweiß-Aufnahme der 01 1095 für ihren Neuheitenprospekt sparen können. Die war übrigens nie blau, und dass dann eine Neubaukessel-01.10 im F-Zug-Gewand erschien führte bekanntlich zu umfangreichen Diskussionen...
Mir sind drei Aufnahmen bekannt, die die 01 1087 im fraglichen Zeitraum zeigen: Die erste Aufnahme stammt aus dem schon erwähnten Baureihenbuch des EK-Verlages über die 01.10 von Jürgen-Ulrich Ebel und ist auf S. 102 zu finden. Deutlich ist auf dem auf 09.02.1950 datierten Bild zu erkennen, dass die 01 1087 über eine - abgesehen vom untermittig angebrachten Nummernschild - völlig blanke Rauchkammertür ohne Rauchkammertürzentralverschluss, vereinfachte Führerhausbelüftung á la Baureihe 52 und an Führerhaus und Tender noch die Zierleisten aus ihrer Stromlinienära verfügt (somit sind Modelle der blauen 01 1087 mit Rauchkammertür-Zentralverschluss mutmaßlich vorbildwidrig). Diese Merkmale zeigt auch ein auf das gleiche Jahr datierte Pressefoto der DB, das im alten EK-Band über die 01.10 von 1973 auf Seite 65 zu finden ist. Am Führerhaus befinden sich weder Handlauf noch Hoheitszeichen, lediglich Nummernschild und Gattungszeichen. Am 07. Juni 1951 fährt die 01 1087 Altmeister Carl Bellingrodt mit D 173 am Haken in den Basaltkuppen der Rhön vor die Linse. Das Bild, das mit der Ruine Schwarzenfels im Hintergrund entsteht, ist für mich ein Meisterwerk der Eisenbahnfotografie und vielleicht eines der schönsten Dampflokfotos überhaupt - aber eben leider schwarzweiß. So gibt uns diese Ablichtung des blauen Dreischlägers - zu finden in Heinrich/ Schülkes "Bahnknotenpunkt Würzburg" auf Seite 176 - nur sicher preis, dass sie mittlerweile anstatt der "52er-Hutze" wieder ein Einheitslok-Regelführerhausdach trägt. Aber ist Juni 1951 "Ende 1951"? Laut Wilke hatte die 01 1087 ja im Juli 1950 den blauen Farbanstrich verloren und erhielt erst wieder "Ende 1951/ Anfang 1952" einen - ihren zweiten - Blauanstrich. Demnach hätte sie zum Zeitpunkt der Bellingrodt-Aufnahme - Juni 1951 - schwarz sein müssen. Spekulationen über Farbanstriche, abgeleitet aus Grautönen, verbieten sich auch hier (abermals sei an dieser Stelle auf die diesbezüglichen, keine Fragen offen lassenden Ausführungen von Steffen Lüdecke in seinem Baureihenbuch über die Gt2x4/4 verwiesen), sodass dem leidenden Eisenbahnhistoriker nur der Stoßseufzer bleibt: Ach, Carl, Du hast den Farbfilm vergessen...
Interessant finde ich auch, dass bis heute die Existenz einer blauen 01.10 vereinzelt noch immer unter Verweis auf irgendwelche "Effekte bei schrägem Sonnenlichteinfall" oder "Verschmutzung durch schimmerndes Öl" bestritten wird, wiewohl doch die abweichende Farbgebung der 01 1087 in Form der Schriftwechsel zwischen den einzelnen DB-Stellen sogar in Form von Primärquellen vorhanden und sauber dokumentiert ist - während andererseits eine blaue Roco-Phantasie-E 71 von der Eisenbahnergemeinde bemerkenswert widerstandslos hingenommen wurde. Freilich weist "meine" 01 1087 - Patin stand natürlich die 01 1075 der SSN - einige Abweichungen zur Original-01 1087 auf: Führerhausbeschriftung und Zierleisten am Führerhaus wurden bereits erwähnt, der Sanddom hat die falsche Form, die Zuleitungen zu den Zylindern waren umbaut, und, und, und. Aber dennoch nehme ich für mich die kleine Eitelkeit in Anspruch dass meine kleine Pixelei einer Farbfotografie des blauen "Salondampfers", die es ja leider nie gegeben hat, wohl am nähesten kommt. Und, ach ja: Das passende Märklin-Sondermodell zum oben erwähnten "Blue Rhinegold" aus der Göppinger Retro-Linie gibt's auch schon:
Grüße!
Christian