So, Sportsfreunde! Hefte raus, Klassenarbeit! Was steht im Stundenplan? Geschichte! Na dann!
Während des Zweiten Weltkrieges vermieteten die SBB 16 C 5/6 an die Deutsche Reichsbahn. Obwohl diese vorwiegend in Baden, Württemberg, dem Elsass und Bayern fuhren, war einer der Einsatzschwerpunkte die im Kanton Schaffhausen über Schweizer Gebiet führende Hochrheinstrecke. Bilddokumente zeigen die "Elefanten" in deutschen Diensten im Fulachtal bei Schaffhausen und auf der Strecke Erzingen - Schaffhausen ebenso wie zwischen Waldshut und Koblenz /Aargau (Schweiz). Eine dieser 16 war die C 5/6 2958, die von 1942 bis 1945 an die deutsche Reichsbahn vermietet war. Nun - was, wenn die Reichsbahn diese Lokomotiven nicht angemietet, sondern angekauft hätte oder diese, wie zig andere "Fremdlokomotiven" auch nach Kriegsende in Deutschland verblieben wären? Die C 5/6 2978 beispielsweise befand sich am 08.Mai 1945 noch in außerschweizer Gefilden, als sie vom Kriegsende "überrascht" wurde...
Im Bestand der Deutschen Reichsbahn gibt es keine Länderbahn-1'Eh4v. Unter deutscher Hoheit wäre die C5/6 wohl im Reichsbahn-Nummernplan in die Baureihe 58 eingegliedert worden, innerhalb der wiederum die höchste vergebene Untergruppe die 58.29, ex-PKP Ty37, war. Somit wäre eine - unter welchen Konditionen auch immer - "vereinnahmte" C 5/6 zur 58.30 geworden - die Reko-G 12 der DR Ost gab es damals noch nicht!
Auch wenn für schweizer Betrachter eine "germanisierte" C 5/6 eine visuelle Zumutung darstellen dürfte - irgendwie ist einem dieser Anblick doch vertraut. Warum? Nun, hätte es von Maffei eine Weiterentwicklung der G 5/5 alias 57.5 als G 5/6 gegeben - hätte sie nicht so oder so ähnlich, Konvergenz der Formensprache, aussehen können?
Retusche nach einem Originalfoto mit freundlicher Genehmigung der Fa. Roco/ Modelleisenbahn Holding GmbH
Damit ist das Mietlokdasein der eidgenössischen Elefanten aber noch nicht vorbei. Mit dem Vormarsch der Alliierten nach Osten stieg die Notwendigkeit, zeitnah eine funktionierende Eisenbahn-Infrastruktur im befreiten Frankreich aufzubauen; eine gewaltige Herausforderung angesichts des Umfanges der Zerstörung an Schienennetz und Rollmaterial. Abermals wurden die SBB um ihre Fünfkuppler angefragt, doch diesmal von Seiten der SNCF. Wie es der Zufall will, verschlug es die zweite bis heute museal erhaltene C 5/6, die 2969, vom 14.11.1944 bis zum 10.06.1946 nach Chambéry, das damals wohl zu weiten Teilen einer Trümmerlandschaft geglichen haben dürfte: Die 50.000-Einwohner-Stadt war im Zuge der Vorbereitungen zur Invasion in der Normandie am 06.06.1944 mit der Zielsetzung, die Eisenbahninfrastruktur zu zerstören um zu verhindern, dass die deutsche Wehrmacht Truppen und Ausrüstung in den Westen Frankreichs verlegen könne, am 25.03.1944 von alliierten Bomberverbänden angegriffen worden, wobei etwa ein Drittel der Stadt - ca. 10 bis 12 Hektar Fläche - komplett zerstört wurde. Zwar wurde der Bahnhof Chambéry und 45 Lokomotiven vernichtet - aber Ringlokschuppen und Bahnbetriebswerk, für rund ein halbes Jahr nun temporäre Heimat der Eidgenossin, blieben kurioserweise weitgehend intakt.
Die Aufzeichnungen aus jener Epoche verraten uns nicht nur, dass die 2969 in dieser Zeit 44.500km auf dem Streckennetz der SNCF zurückgelegt hat sondern auch, dass aufgrund des kleineren französischen Lichtraumprofiles Schornstein und Sanddom - Zitat - "niedriger gemacht" werden mussten. So zeigt dieses Bild keine "What if"-Lokomotive sondern ist der Versuch einer Annäherung, wie die starke Schweizerin in ihren französischen Tagen ausgesehen haben mag:
Retusche nach einem Originalfoto mit freundlicher Genehmigung der Fa. Roco/ Modelleisenbahn Holding GmbH
Wenn Schornstein und Sanddom gekürzt werden mussten ist es eigentlich nur logisch, dass auch der Führerhausaufsatz weichen musste. Dies ist aber nur eine Annahme meinerseits - Bilddokumente der C 5/6 sind mir aus dieser Epoche leider nicht bekannt. Jedweder Zierrat - wie blanke Messing- oder Kupferleitungen - ist aus unterhaltungstechnischen , den kriegerischen Zeiten geschuldeten Gründen verschwunden was heißt, dem Farbschieberegler zum Opfer gefallen. Die Depotangabe an den Führerhausseitenwänden wurde entfernt, sie wäre ohnehin falsch (die 2969 kam vom Depot Basel und ging nach ihrer "Remisierung" nach Biel). Der gekürzte Schornstein erinnert stark an das Erscheinungsbild der aus den gleichen Gründen "kupierten" S 3/6- Maschinen, die später als 231 bei der ETAT gelaufen waren.
Möglicherweise hat sich die 2969 zusammen mit Ihren vermieteten Schwestern in Chambéry ganz wohl gefühlt. Dass die Franzosen ein Händchen für Verbundlokomotiven haben ist allgemein bekannt, und falls - was ich nicht zu belegen vermag - die C 5/6er auf der in Chambéry beginnenden und nach Bardonecchia führenden Mont-Cenis-Bahn eingesetzt wurden, könnten sich die Ex-Gotthardloks auf deren Kurven und bis zu 30 Promille steilen Rampen quasi wie zu Hause gefühlt haben...
Und auch hier kreuzt der uns permanent versuchende Konjunktiv wieder unseren Weg: Was, wenn eine oder mehrere C 5/6 in Frankreich verblieben wären? Gewissermaßen vom Kriegsende am 08. Mai 1945 überrascht und daher nicht "repatriiert" (man bedenke, die 2969 stand bei Kriegsende auf französischem Boden!), oder den Franzosen von den Eidgenossen zum Kauf angeboten - am Gotthard wurden die Vierzylinderloks schon längstens nicht mehr benötigt?
Nun, im frankonen Friedensgewand hätten die Fünfkuppler wohl so ausgesehen:
Retusche nach einem Originalfoto mit freundlicher Genehmigung der Fa. Roco/ Modelleisenbahn Holding GmbH
Die lichtraumprofilbedingten Änderungen, die wir bereits an der 2969 "bewundern" durften, bleiben erhalten. Hinsichtlich der Farbgebung habe ich mich an der 141 R 1244 orientiert: Pufferbohle, Umlauf und Kesselspannbänder rot, Stangen rot ausgelegt, rote Zierrechtecke auf Zylindern, Führerhaus- und Tenderseitenwänden. Langkessel, Tenderkasten und Führerhaus grün, Führerhausdach, Tenderaufbau, Fahrgestell und Rauchkammerpartie schwarz. Und auch Messing- und Kupferleitungen glänzen wieder - jedoch, ob man in Frankreich 1946 nichts besseres zu tun gehabt hätte als eine Lokomotive außerfranzösischer Herkunft derart zirkuspferdig herzurichten, wage ich zu bezweifeln. Selbst die paar Zierlinien, die mancher Hersteller der 150X zukommen ließ, waren möglicherweise nur visuelles Wohlwollen der Modellbahnindustrie und mitnichten real.
Wäre noch die Frage nach der Baureihenbezeichnung. Interpretiere ich den französischen Nummernplan richtig, wurden Dampflokomotiven französischer Herkunft mit den ersten Buchstaben des Alphabetes bedacht, Konstruktionen nichtfrankophiler Abstammung mit den letzten (wobei diese Definition aber nur dann zutrifft, wenn man die elsässischen G12 und G12.1 als "französisch" versteht... - die 150P fällt völlig aus dem Rahmen). Da die C 5/6 eindeutig nichtfranzösischer Herkunft ist und X, Y und Z bereits durch die Reichsbahn-Baureihen 44, 52 und 50 belegt sind müsste unser Blick somit auf die "150 W 01" der SNCF fallen...
Dieser Plot ließe sich noch weiter spinnen; schließlich waren ja während des Ersten Weltkrieges bereits schweizer Lokomotiven als Miet- oder Leihlokomotiven auf deutsche Gleise gekommen. Gerne räume ich aber ein, dass ich auf diesem Gebiet - wenngleich hochinteressanter - Eisenbahngeschichte nur dilettiere; Ergänzungen sind immer gerne willkommen!
Bleibt mir die Hoffnung, dass mein Eröffnungsbeitrag für 2016 zu gefallen vermochte - und vor dem Hintergrund des noch sehr jungen Jahres wünsche ich allen Lesern ein friedvolles, glückliches und gesundes 2016 sowie weiterhin nicht enden wollende Freude am Hobby Eisenbahn!
Grüße!
Christian